Ein Haus der Utopie

Published on August 12, 2018

Seit Mai diesen Jahres existiert in Greene, einem kleinen 1.500 Seelen Dorf irgendwo zwischen Hannover und Göttingen, ein Kollektivhaus, in dem etwa 15 Menschen auf einem 2.000m² großen Gelände gemeinschaftlich ihre Utopie von einer besseren Gesellschaft leben - einer Gesellschaft, die auf Solidarität basiert, in der Geld bzw. besser gesagt Tauschlogik keine Rolle mehr spielt und die ökologisch im Einklang mit der Natur lebt. Sie organisieren dort gesellschafts- und umweltpolitische Projekte, bieten Seminarräume für Workshops an, führen einen Umsonstladen und bebauen den Garten mit Permakulturen.

Einer von ihnen ist Tobi Rosswog. Tobi hat unter dem Motto “Vorhandenes sinnvoll nutzen”zweieinhalb Jahre komplett geldfrei von dem gelebt, was die Konsumgesellschaft wegwirft. Seine Krankenversicherung war dann der Anlass für ihn, sich von dieser radikalen Einstellung abzuwenden -  nun versucht er, tauschlogikfrei zu leben (Tauschlogik ist das Prinzip von Leistung für Gegenleistung). Wir, Antonia und ich, durften Tobi einige Fragen zu diesem Kollektivhaus und dem Leben dort stellen.

“Wir hatten schon lange den Traum, ein Haus vom Eigentum zu befreien”, sagt Tobi. Bereits bevor das Kollektivhaus in Greene gekauft wurde, wohnte er mit einigen anderen Menschen im sog. Liebermensch Haus in Mainz, damals allerdings noch auf Mietbasis. Nach einjähriger Suche fanden sie endlich das Kollektivhaus und kauften es als Verein. “Unsere Satzung legt gewisse Werte fest, unter anderem soll das Haus nie wieder verkauft werden”, erzählt er.

Kauf bedeutet, dass Geld notwendig war, um die Immobilie zu erwerben. “Wir haben zusammen gelegt und auch viele Spenden bekommen”, berichtet Tobi. “Aber die Immobilienpreise in der betroffenen Region sind noch sehr günstig, wir mussten also keine gigantische Summe zusammen bekommen.”

Ist Geld böse? Tobi runzelt die Stirn. “Geld trägt die Tauschlogik in sich. Menschen müssen ihre Lebenszeit verwerten, um Geld zu verdienen und ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Eine Gesellschaft mit Geld basiert immer auf Konkurrenz und das ist nicht human. Unsere Utopie einer zukunftsfähigen, solidarischen Gesellschaft ist geldfrei. Alle geben das rein, was sie an Fähigkeiten haben und geben können, und alle nehmen sich das heraus, was sie brauchen. Nach Karl Marx: jeder nach seinen Bedürfnissen, jede nach ihren Fähigkeiten.”

Auf die Frage, ob manche der Bewohner*innen des Kollektivhauses Lohnarbeit gegen Bezahlung ausüben, hebt Tobi spielerisch mit einem Lächeln die linke Augenbraue. Die Worte “Lohnarbeit” und “Arbeit” gefallen ihm nicht. Er verwendet lieber den Begriffe “Tätigkeit”. Im klassischen Sinne für Geld arbeiten würde niemand, dennoch komme etwas Geld ins Haus, erzählt er. Er selbst gibt jährlich an die hundert Vorträge im deutschsprachigen Raum. Dabei gilt für ihn das spielerische Motto “Bildung darf keine Ware sein, aber wenn du Knatze hast hau rein.” Wer also möchte und Geld zur Verfügung hat, gibt Geld rein für einen Vortrag; wer gerade kein Geld übrig hat, bekommt die Präsentation natürlich umsonst. Ähnlich funktioniert auch die gemeinsame Ökonomie im Kollektivhaus: Die Bewohner*innen zahlen keine feste Miete, aber wer etwas geben kann, legt es in die gemeinschaftliche Kasse als Solidarbeitrag; wer gerade kein Geld hat eben nicht.

Wie läuft ein ganz normaler Tag im Kollektivhaus am Flüsschen Leine ab? Tobi lacht. Einen geregelten Alltag gebe es nicht, aber gewisse Strukturen hätten sich inzwischen herausgebildet. Im Kollektivhaus seien ständig viele verschiedene Leute, oft kämen Gäste. Darum habe sich das morgendliche Check-In Plenum etabliert. “Um neun Uhr können alle beim gemeinsamen Frühstück in den Tag starten. Die Menschen teilen ihren Namen, ihr Pronomen und wie es ihnen geht. Oft wird auch besprochen, was an diesem Tag ansteht und welche Projekte gerade laufen.” Nach der Morgen-Runde gehen alle ihren Tätigkeiten nach, es wird gewuppt und Kampagnen werden geplant, oft in Projektgruppen. Beim Mittag- und Abendessen kommen alle wieder zusammen. 10-15 Menschen leben dauerhaft im Kollektivhaus, eine feste Aufgabenverteilung gibt es jedoch nicht. Jeder übernimmt den ein oder anderen Gemeinschaftsdienst freiwillig. Tobi selbst bereitet mit Vorliebe das Frühstück zu, dass aus Brot, Brötchen oder Brei besteht (alles vegan), weil er sowieso früh aufsteht.

Das Kollektiv will seine Vorstellungen und Ideen in die Welt tragen und lädt daher regelmäßig Menschen von außen ein. Zuletzt fand die zweite sog. Bauskillsharing Woche statt. Alle handwerklich talentierten und interessierten Menschen waren herzlich eingeladen, mit anzupacken und voneinander zu lernen. “Das lief wunderbar!”, berichtet Tobi begeistert. “Wände wurden gestrichen, gerettetes Laminat wurde verlegt, wir haben eine Außendusche und eine Komposttoilette gebaut, und ein benachbarter Lehmbauer hat uns eine Tonne Lehm geschenkt, mit der wir Wände verputzt und einen Lebensbaum im Achtsamkeitsraum gestaltet haben.”Überhaupt sei die Solidarität innerhalb der Dorfgemeinschaft großartig. Der Umsonstladen, der sofort nach Bezug des Hauses in der Garage eröffnet wurde, komme sehr gut an. “Es ergibt immer und überall Sinn, Dinge zu teilen.”

Die dritte Bauskillsharing Woche ist schon in Planung, denn es gibt noch viel zu tun. Unter anderem sollen das Dach neu gemacht und der Dachboden ausgebaut werden.

Wir fragen, wie auch wir in unserem Alltag die Utopie leben können. “Im Kleinen anfangen”, rät Tobi. Er gibt uns drei Ansatzpunkte mit und verweist darauf mit einem Zwinkern, dass Du niemals einer 3-Punkt-Liste trauen, sondern lieber selbst kreativ werden solltest:

- Stelle die Suffizienz Frage: Was brauche ich wirklich? Kann ich mir diese Dinge auch anders organisieren, als ich es momentan tue (z.B. wiederverwenden, teilen, ausleihen…). Du wirst sehen, vieles brauchst du nicht notwendigerweise. Muss es tatsächlich jedes Jahr ein neues Handy, alle drei Jahre ein neuer Laptop und alle fünf Jahre ein neues Auto sein? Werde unabhängiger von Geld und damit auch Lohnarbeit.

- Denn wer geldfreier lebt, hat mehr Zeit. Frage Dich, was deine Berufung ist, wo Dein Potenzial liegt. Was willst Du wirklich machen? Wie möchtest Du Deine Talente utopisch und gemeinwohl-dienlich einbringen? Diese Fragen stecken auch hinter dem bedingungslosen Grundeinkommen: Was würdest Du tun, wenn Geld keine Rolle spielen würde?

- Verbünde Dich mit Gleichgesinnten, gründe Kollektive, bilde Banden.

Falls dieser Artikel dein Interesse geweckt hat und du mehr über Tobis Utopie einer besseren Welt und über das Kollektivhaus in Greene erfahren möchtest hier noch einige Links:
Über das Kollektivhaus: http://gelebteutopie.de

Die Website von living utopia, du kannst den Newsletter abonnieren: http://livingutopia.org

Die Facebook Seite von living utopia: https://www.facebook.com/livingutopia.org/

Tobi hat ein Buch über Arbeit geschrieben, er selbst beschreibt es als radikale Kritik an unserem Arbeitsfetisch. Momentan läuft das Crowdfunding des Oekom Verlags: https://www.oekom-crowd.de/projekte/after-work/

Über dieses Buch wird im Oktober ein eigener Artikel hier erscheinen, Ihr dürft gespannt sein!


 

Eine Story von: Anja

Anja schreibt ehrenamtlich für die WWF Jugend Community.

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