
Neues vom Plastik-Planeten
Plastikprothesen, die in Menschenkörpern zerbröckeln, und Strände voller pinker Plastik-Ponys. Gedanken zu absurden, skurrilen und traurigen Nachrichten von unserem Plastik-Planeten.

Mit den Meeres-Verbündeten haben wir letzten Mai einen plastikfreien Laden besucht. Die Inhaberin hat sich viel Zeit für uns und unsere Fragen genommen. Ihre Standhaftigkeit und ihr unermüdlicher Einsatz gegen die Plastikverschmutzung waren beeindruckend, dennoch konnte ich ihrer Meinung nicht uneingeschränkt zustimmen. Sie mag im Grunde damit Recht haben, dass jedes bisschen Plastik Probleme mit sich bringt: Es wurde vermutlich aus Erdöl hergestellt, es könnte Giftstoffe enthalten und es ist nicht biologisch abbaubar. Trotzdem halte ich es für falsch, dieses Material komplett zu verdammen, so wie es die Ladeninhaberin tat.
Ich engagiere mich seit Jahren für eine plastikfreiere Zukunft, dennoch wird wer in meine Wohnung kommt eine Menge Gegenstände aus Kunststoff finden. Viele davon mag ich sogar ausgesprochen gerne und kann mir mein Leben ohne sie nur schwer vorstellen: Mein Handy, meinen Laptop, meine Waschmaschine, meinen Pürierstab, meine Yoga-Matte und – ich gestehe – auch meine heißgeliebte Jogginghose ist nicht aus Baumwolle. All das sind Dinge, die mich schon lange begleiten und von denen ich hoffe, dass sie mir auch noch viele Jahre erhalten bleiben, wenn ich weiterhin sorgsam damit umgehe. Die Langlebigkeit von Plastik mag ein Fluch sein, wenn es in die Umwelt gerät, sie kann aber auch ein Vorteil sein. Es erscheint nur verrückt, Produkte und Verpackungen daraus herzustellen, die nicht für den langfristigen Gebrauch, sondern eine minutenkurze Nutzungszeit gedacht sind.

Ein weiterer Bereich, in dem ich den Einsatz von Kunststoff durchaus für sinnvoll halte, ist die Medizin. Aus modernen Krankenhäusern ist Plastik wohl nicht mehr wegzudenken und das ist vermutlich auch gut so, da es zur Verbesserung der Hygiene beiträgt. Als jemand von uns Meeres-Verbündeten das während des Gesprächs zu bedenken gab, verwies die Ladeninhaberin auf alte Filme. Dort sehe man schließlich auch Krankenhäuser ohne Plastik, das wäre ja früher auch gegangen. Alte schwarz-weiß Arztserien sind mit Sicherheit kein Beweis dafür, dass man Plastik in Krankenhäusern einfach abschaffen kann.
Es sind aber auch nicht alle Anwendungsmöglichkeiten von Plastik in der Medizin sinnvoll, wie sich erst im Herbst letzten Jahres gezeigt hat. Als Ersatzbandscheibe hat es sich als absolut ungeeignet erwiesen. Das eigentlich so langlebige Material ist in Form von Bandscheibenprothesen im Körper der Patienten zerbröckelt. An einer Bremer Klinik mussten bereits über siebzig Personen von schadhaften Plastikimplantaten in der Wirbelsäule befreit werden. Die Einzelteile wurden den Patienten in aufwändigen Operationen entnommen, die für viele nicht ohne Folgeschäden blieben. In den Nachrichten war wörtlich von Plastikschrott im Körper der Menschen die Rede. Er ist also da angekommen, wo wir ihn alle am wenigsten haben wollen, der Plastikschrott.
Oft bezeichnen wir Kunststoffgegenstände als Plastikschrott, auch wenn sie noch nagelneu sind. Gegenstände aus einem Material, das hunderte von Jahren benötigt, um sich zu zersetzen, gelten häufig als qualitativ minderwertig, da sie oft so produziert sind, dass sie nicht lange halten. Sie sind oft günstig und sie werden in Massen produziert, sodass es kein Problem ist, sie zu ersetzen, wenn sie kaputt gehen. Tonnen von identischen Plastikgegenständen werden in Container gestopft und in die ganze Welt verschifft. Dass dabei so einiges schiefgehen kann, hat sich Anfang des Jahres gezeigt als mit der MSC Zoe eins der größten Containerschiffe der Welt einen „kleinen“ Teil seiner Ladung verloren hat. Das ca. 400 Meter lange Schiff bietet Platz für mehr als 19.000 Container in einer Größe von ca. 6m x 2,4 m x 2,5m. Was macht es da schon, wenn wie im Januar um die 280 Container über Bord gehen? Eine ganze Menge, denn die Container sind randvoll mit nagelneuen Konsumgütern gefüllt, die sich nun ins Meer ergießen und an Strände gespült werden. Im Internet sieht man die skurrilsten Bilder: Menschen, die durch einen Berg aus angespülten Schuhen waten, Strände voller kleiner pinker Gummipferde, Flachbildfernseher, die aus den Wellen geborgen werden. All diese nagelneuen Gegenstände sind zu Müll geworden, bevor sie auch nur ein einziges Mal benutzt wurden. Sie müssen in mühevoller Arbeit geborgen werden. Es wird wohl nicht gelingen, all die durch die Havarie in der Nordsee gelandeten Gegenstände zu bergen. Viele von ihnen werden zu dem Müllberg beitragen, der jetzt schon durch die Gewässer treibt, auf den Grund sinkt und den Lebensraum Meer zu einer Müllkippe macht. Ganz zu schweigen davon, dass nicht nur Massen an Kunststoffteilen, sondern auch 250 Säcke mit giftigem Pulver und ein mit 1.400 Kilo Batterien gefüllter Container in die Fluten stürzten.
Bei den unvorstellbaren Mengen an Waren, die auf den Weltmeeren unterwegs sind, auf denen es nicht gerade immer sanft zugeht, sind herunterfallende Container keiner Seltenheit. Nicht immer sind es aufsehenerregende Havarien wie die der MSC Zoe, ausgehend von Zahlen des World Shipping Council schätzen Experten jedoch, dass täglich bis zu 4 Container auf hoher See verloren gehen. Das wären mehr als 1000 Container im Jahr. Angesichts dessen erscheint es mir noch absurder, dass sizilianische Behörden das Rettungsschiff Aquarius deshalb beschlagnahmen wollten, weil es angeblich 24 Tonnen Müll, darunter Hygieneartikel, Kleidungsstücke und Essensreste, illegal entsorgt habe. „Aktivitäten organisierter illegaler Müllentsorgung“ lautete der Vorwurf der Polizeibehörde, den Ärzte ohne Grenzen, die Organisation, die die Aquarius betreibt, vehement zurückwies. Die Notfallkoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen sieht in den Anschuldigungen hauptsächlich einen Versuch, die Rettungsarbeiten der Organisation einzustellen. Es macht mich fassungslos, dass Behörden einen solchen Aufwand betreiben, um die Rettung von Menschenleben zu vereiteln, wohingegen diejenigen, die tatsächlich große Mengen Müll illegal in der Natur abladen, oft ungestraft davonkommen.

Angesichts all dieser Vorfälle fällt es leicht, die Wut der Ladenbesitzerin darauf, wie viel auf diesem Plastik-Planeten schief läuft, ihre Frustration darüber, dass Menschen einfach weitermachen wie bisher und die von Plastik ausgehenden Gefahren ignorieren, zu verstehen. Es ist bewundernswert, dass sie dennoch daran glaubt, dass sich etwas ändern lässt. Gegen unsere Einwände, dass es durchaus sinnvolle Anwendungsmöglichkeiten für Kunststoffe gibt, führt sie einen Vergleich an: Es sei wie mit Schwimmern und Nichtschwimmern. Wer nicht schwimmen kann, glaubt nicht, dass er sich durchs Wasser bewegen kann, ohne unterzugehen, sowie diejenigen, die es nicht ausprobiert haben, nicht glauben, dass ein Leben ohne Plastik möglich ist. Hat man aber erst einmal gelernt, zu schwimmen, sieht die Welt ganz anders aus. Aus dieser Sicht werde ich wohl immer Nichtschwimmerin bleiben, denn ich bin trotz allem der Meinung, dass der Gebrauch von Plastik in manchen Fällen sinnvoll und nötig ist. Was ich mir aber wünsche, das ist mehr Verantwortungsbewusstsein. Einen verantwortungsvolleren Einsatz von Kunststoffen, verantwortungsvolleres Konsumieren und vor allem einen verantwortungsvolleren Umgang miteinander. Lasst uns einander Schwimmflügel verleihen, damit niemand mehr im Plastikmeer ertrinken muss!
https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/Bandscheiben-zerbroeseln-Plastikschrott-im-Koerper,cadisc142.html
https://utopia.de/container-schiff-nordsee-niederlande-plastik-121154/
https://en.wikipedia.org/wiki/MSC_Zoe
https://de.wikipedia.org/wiki/Twenty-foot_Equivalent_Unit
https://orf.at/v2/stories/2418888/2418887/
https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/rettungsschiff-aquarius-beschlagnahmung-wegen-abfallentsorgung
https://www.welt.de/politik/deutschland/article184171336/Aquarius-wegen-angeblich-illegaler-Muellentsorgung-gestoppt.html
Titelbild: 1662222 / pixabay (https://pixabay.com/de/krankenhaus-bett-arzt-chirurgie-1802679/ 17.01.19)
Eine Story von: Anne
Anne schreibt ehrenamtlich für die WWF Jugend Community und ist im Redaktions- und Aktionsteam. Auch du kannst hier mitmachen - melde dich gerne bei uns.
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