Die Welt an einem Tag

Published on March 12, 2022

    Das große Erwachen. Der erste Blick aufs Handy: Twitter sperrt Argumente und Trump. Push-Benachrichtigungen drücken uns fest zur Begrüßung. Bett machen: Wir trocknen das Flussbett und decken Chatgruppen auf. Wir schütteln die Decke aus Glas – aber nur sanft, sie ist alt und gebrechlich.

    Wir schauen in den Meeresspiegel und ertragen kaum, was wir sehen. Wenn ich trage, was der Teufel trägt, wird das dann auch in der Hölle genäht? (1) Der Rock ist zu knapp. Wasser und Wohnungen auch. Smoothie: Land-Grabbing, Avocado, Kinderarbeit, Microdose. Beim Trinken ruht der Blick auf dem Steingarten. Absolut gerechtfertigt, Arbeit hab ich genug.

    Wir bringen den Müll raus und nach Süd-Ost-Asien. Das Weg in Wegwerfen.

    Dort, wo wir auf dem Laufband Richtung Tellerrand laufen, stand mal eine Bibliothek. Das Ziel ist im Weg. Früher haben wir Mammuts gejagt. Heute gehen wir auf der Stelle und bleiben auf der Waage stehen. Wir wiegen uns und Menschenleben gegeneinander ab.

    Jeden Tag Pendeln: vom Mindestlohn zur Ausbeutung. Wir fahren allein mit unserem SUV das Machtgefälle rauf – und den sozialen Abstieg wieder runter. Autos fluten die Innenstadt; der Reichstag brennt. Wir fahren auf der Autobahn und glauben an die Stunde 0. Keine Insekten mehr auf der Windschutzscheibe – Autowäsche ist eh Wasserverschwendung. Die Ampel ist grün und wir warten. Das Radio läuft. Billiger Pop und billiger Populismus – beides teuer bezahlt. Wir bauen Brücken über den Überfluss. Wir fahren auf Naturversiegelung. Rechts von uns die, die sich mit Muskelkraft fortbewegen. Loser.

    Der Kapitalismus und wir sind spät. Kollegin an der Kaffeemaschine. Danke, gut. Mein inneres Kind läuft Amok.

    Die Speere, die auf uns geworfen werden, fangen wir auf, um uns selbst zu erstechen. (2)

    Erde und Mittagessen werden warm. Hitze isst Vernunft auf. Wir sind hungrig nach Meer und Holz. Ist Hunger ein Protagonist, auf dessen Erzählung wir uns verlassen können? (3)

    Rücken- und Rassismusprobleme. Ein Postfach wie ein Strand: viel Müll und kein Ende in Sicht. Mails rollen wie Wellen. Haste mal ne Arm-Reich-Schere? Ich brauch n` Ausschnitt der Welt.

    Überstunden. Hol deinem Chef die Million und einen runter. Drogen zur Belohnung. (4) Karōshi. Wir gehen bis an unsere EU-Außengrenzen.

    Ein Feierabend wie ein Pyrrhussieg.

    Die Theorie der Praxis. Die Gegenwart als Wartezimmer. Die Moderne wird aufgerufen. Diagnose: Klimakrise und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Und: Leistungsbruch. Das ist kein Schnupfen, das ist Burnout. (5) Hat sich das Warten gelohnt, frag ich mich.

    Wir holen die nächste Generation ab. Der Nachwuchs hat Magen-Darm: Durchfall wie Ausfall auf dem Zeugnis und Brechen wie Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Im Rücksitz – im körpergerecht geformten Sitz mit hochwertiger Ledernachbildung – geht’s der Zukunft besser. Einfach ein Ort zum Wohlfühlen. (6)

    Drive Through. Zum Abendbrot gibt’s Abholzung. Der Jaguar auf der Gabel - wir spielen Inlandsflug und stopfen`s in das Kind. Lecker Lebensraum.

    Der Hund war den ganzen Tag allein zuhause. Die Nase wurde ihm weggezüchtet und er kann nicht richtig atmen. Aber wer kann das schon. Er geht mit uns Gassi. Wir spazieren durch die Monokultur. Ein „Wald“ – mindestens haltbar bis Motorsäge.

    Wir haben ein Tinder-Date mit dem Weltuntergang. Die Vibes stimmen nicht. Wir rufen alte Freunde an. Patriachat, BIP und Ehegattensplitting sind immer am Start. Wir tanzen und trinken. Aus einer werden zwei Lines, aus zwei werden drei Lines. (4) Herz- und Weltschmerz vermischen sich. Wir trennen uns vom Kolonialismus, aber "können ja Freunde bleiben". Es braucht nicht viel, wieder anzurufen. Flasche und Flugzeug sind halb leer. Ein Wasser mit. Ist das Kohlensäure oder Mikroplastik?

    Welchen Standpunkt kann ein Mensch einnehmen, um das Rätsel zu lösen, das er selbst ist? (7) Wer durchbricht die letzte, wenn wir in den eigenen vier Wänden sind? Waschmaschine und Steuererklärung: Es ist der Sturz in die Alltäglichkeit. (8) Der Kleinbürger hat drei echte Leidenschaften: Bier, Klatsch und Antisemitismus. (9) Wir verlieren uns in den Zerstreuungen des Lebens. Wir sind unfrei – wie die Schafe. Brüder, Herzen und Durstlöscher im Kühlschrank. Tagesschau: Die Krisen stehen Stau. Ist eine Krise per Definition nicht ein Höhepunkt? (10) Befinden wir uns seit nun 100 Jahren mitten in der Klimax? Ein Jahrhunderte währender Orgasmus?

    Wir duschen in Selbstgerechtigkeit. Wir vergessen zwar manchmal die Welt, aber niemals unsere Skin Care Routine.

    Draußen stürmt ein Unwetter. Der Wind der Veränderung strafft die Deutschlandfahne. Die Fenster sind mit Framing, Priming und Agenda-Setting dreifach verglast. In Paris brennen Autos, in Zürich ein Kamin. (11) Ne Kuscheldecke wie Codein. (4) Langeweile weilt.

    Wir schlummern. Der Fernseher an der Wand und der Laptop auf dem Schoß. Amateurfußball und Amateurporno. Ich ertrag mich nicht alleine. (12)

    Letzter Blick aufs Handy. Das Neuste vom Neuen ist nur kurz neu, aber sofort vorbestellt. Wir kennen den Preis, aber mit Augen zu schläft es sich besser.

    #Wiederholungsbedarf

     

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    Bild: Lena Chiari, Deutschland, 2013

    (1) Faber (Top)

    (2) Irvin D. Yalom (Die Schopenhauer-Kur)

    (3) Angelika, Aylin, Ha Mi, Kalee, Patricia (O r a n g e n s ä f t .)

    (4) Disarster (Microdose)

    (5) Teesy (Generation Maybe)

    (6) Suzuki (S-Cross)

    (7) Harry Mulisch (Die Entdeckung des Himmels)

    (8) Martin Heidegger

    (9) Kurt Tucholsky

    (10) Adeline Dieudonné (Bonobo-Moussaka)

    (11) Faber (In Paris brennen Autos)

    (12) Betterov (Viertel vor Irgendwas)


     


    Die Autorin Lena

    Eine Story von: Lena

    Lena schreibt ehrenamtlich für die WWF Jugend Community. Sie ist im Redaktions- und Aktionsteam. Auch du kannst hier mitmachen - melde dich gerne bei uns.