
Hoffnung schreibt Geschichten - Paulina
Während des WWF Jugend Schreibwettbewerbs zum Thema „Hoffnung“ haben wir viele Kurzgeschichten erhalten, die uns berühren, Mut machen und zum Nachdenken anregen. In der Interviewreihe "Hoffnung schreibt Geschichte" möchten wir euch die Autor:innen und ihre Geschichten vorstellen.
Heute möchten wir euch Paulina vorstellen und in ihrer Kurzgeschichte "Der Bus der Hoffnung". In ihrer Kurzgeschichte "Der Bus der Hoffnung" geht es um ein junges Mädchen namens Asha, das plötzlich aus ihrem vertrauten Leben gerissen wird und sich auf der Flucht vor Gewalt und Zerstörung wiederfindet. Doch auf ihrer Reise entdeckt sie, dass es selbst in den dunkelsten Momenten auch Hoffnung gibt.

Interview mit Paulina
Magst du dich zum Einstieg kurz vorstellen? Wer bist du, was begeistert dich und hast du ein Lieblingsbuch?
Hallo, ich bin Paulina – Teilzeit-Abenteurerin, Vollzeit-Weltenbummlerin und professionelle Geschichtenliebhaberin.
Man kennt mich vielleicht als die Frau, die nie lange stillsitzt – weder im Kopf noch geografisch. Ich trage eine natürliche Unruhe im Herzen und einen Kompass im Bauch, der ständig in neue Richtungen ausschlägt. Ob auf einer Pferdefarm in Namibia, mit Mähne im Gesicht und Staub in den Schuhen, oder im Großstadtdschungel zwischen Technik und Vertrieb – ich finde überall Geschichten, die erzählt werden wollen. Und das tue ich mit Leidenschaft.
Was mich begeistert? Alles, was echt ist: andere Kulturen, große Gefühle, kleine Anekdoten – und wie Menschen denken, träumen, lieben. Ich zeichne, fotografiere, schreibe – manchmal alles gleichzeitig. Wenn ich in einem Buch versinke, muss man mir Essen und Trinken reichen, sonst vergesse ich beides. Mein Lieblingsbuch? Ganz klar: Stolz und Vorurteil von Jane Austen. Es hat alles, was das Leben braucht – Charme, Scharfsinn und einen gewissen Mr. Darcy.
Den, ganz nebenbei, hab ich übrigens auch schon gefunden. 😉
Was hat dich zum Schreiben dieser Geschichte inspiriert? Gab es einen konkreten Auslöser?
Anfang des Jahres bin ich eher zufällig über den WWF-Wettbewerb zum Thema Hoffnung gestolpert – ehrlich gesagt aus purer Neugier. Ein Klick, und plötzlich stellte ich mir die große Frage: Was bedeutet Hoffnung eigentlich für mich? Nach einigen tiefgründigen Gesprächen mit meinem Freund wurde mir klar: Hoffnung hat viele Gesichter, aber am Ende ist es diese kleine Kraft, die uns immer wieder weitermachen lässt – egal, wie schwierig es wird. Kurz darauf bin ich allein nach Sri Lanka gereist, habe mit vielen Menschen gesprochen und sie gefragt, was Hoffnung für sie bedeutet. Dabei hörte ich berührende Geschichten über den Bürgerkrieg, die mich tief bewegt und lange nachklingen ließen.
Doch die größte Inspiration war meine beste Freundin. Trotz schwerer Schicksalsschläge hat sie nie ihr Lächeln verloren – für mich ist sie das lebendige Gesicht von Hoffnung.
An diesem Strand, beim Sonnenuntergang, hat sich dann die Idee für die Geschichte ganz langsam in mir geformt. In diesem Moment, zwischen Wellenrauschen und untergehender Sonne, wusste ich: Diese Geschichte muss erzählt werden. Ich habe gelernt, dass Hoffnung oft in den kleinen Momenten steckt – in einem Lächeln, einem Gespräch oder einfach dem Mut, weiterzugehen. Und genau diese Momente wollte ich mit meiner Geschichte festhalten.
Was bedeutet Hoffnung für dich persönlich?
Hoffnung ist für mich kein großes Feuerwerk und auch kein magisches Happy End.
Sie ist eher dieser leise, zähe Funke, der bleibt, wenn alles andere ins Wanken gerät.
Die Kraft, weiterzumachen – auch wenn man keine Ahnung hat, wie es weitergeht.
Manchmal zeigt sie sich ganz unspektakulär: in einer warmen Mahlzeit, einem stillen „Ich bin da“, einem Lächeln, das sagt: Die Welt besteht nicht nur aus Dunkelheit.
Sie liegt für mich in den kleinen Schritten.
In der Entscheidung, dran zu bleiben. Oder aufzubrechen. Oder beides gleichzeitig.
Ich glaube, Hoffnung ist wie ein wildes Tier – manchmal schwer zu fassen, aber zutiefst lebendig. Und je besser wir unsere Welt verstehen und schützen, desto mehr Lebensraum geben wir auch der Hoffnung zurück. Vielleicht habe ich deshalb immer so viel Kraft aus der Natur gezogen – aus staubigen Pfaden in Namibia, aus dem Blick eines Pferdes, das mir vertraut, aus dem Wissen, dass wir Teil von etwas viel Größerem sind.
Denn Hoffnung ist nicht nur etwas, das wir haben – sie ist etwas, das wir weitergeben.
Mit Geschichten. Mit Mut. Mit kleinen Gesten, die zeigen: Du bist nicht allein. Und ja – es lohnt sich, weiterzugehen.
Asha ist eine Figur, die viel erlebt hat, was macht sie für dich zur Heldin deiner Geschichte?
Asha ist für mich eine Heldin, weil sie eine stille Stärke in sich trägt, die tief beeindruckt. Sie basiert auf mehreren realen Begegnungen mit Menschen, die ich in meinem Leben kennenlernen durfte – Menschen, die trotz schwerster Erfahrungen ihre Authentizität und ihren positiven Blick auf die Welt nie verloren haben.
Was Asha so besonders macht, ist ihre Fähigkeit,
Licht in Räume zu bringen, auch wenn es in ihrem eigenen Inneren manchmal dunkel ist. Sie verstellt sich nicht, sucht keine Dramatik – und gerade dadurch berührt sie. Obwohl sie allein aus dem Bürgerkrieg in Sri Lanka fliehen musste und sich Schritt für Schritt ein neues Leben in Deutschland aufgebaut hat, hat sie sich ihre Wärme und Aufrichtigkeit bewahrt.
Für mich ist sie eine stille, aber kraftvolle Heldin – nicht weil sie laut ist, sondern weil sie echt ist. Und weil sie zeigt, dass wahre Stärke oft ganz leise daherkommt.
Tara gibt Hoffnung, obwohl sie selbst wahrscheinlich Angst hat. Kennst du solche Menschen im echten Leben?
Ja – und ich bin unendlich dankbar, dass ich solche Menschen ganz nah bei mir habe. Tara hat in meiner Geschichte Asha geholfen, obwohl sie selbst in Gefahr war. Dieses mutige Handeln hat mich sehr an meine Eltern erinnert.
Sie haben mir ihr ganzes Leben lang gezeigt, was es bedeutet, für jemanden da zu sein – nicht nur mit Worten, sondern mit Taten. Auch in schwierigen Momenten waren sie immer voller Liebe, voller Kraft, voller Selbstlosigkeit. Sie haben mich mitgetragen, ohne etwas zurückzuverlangen.Wenn ich an Tara denke, sehe ich diese Stärke – diese Art von Mensch, die anderen Mut macht, auch wenn sie selbst nicht weiß, wie es weitergeht. Es berührt mich zutiefst, dass ich das in meinem eigenen Leben erleben darf.
Meine Eltern sind für mich der Beweis, dass echte Menschlichkeit existiert – und dass es diese leisen Held:innen gibt, die Hoffnung schenken, einfach nur durch ihr Dasein.
Welche Szene deiner Geschichte ist dir besonders wichtig und warum?
Die Schlussszene bedeutet mir persönlich am meisten. Asha sitzt im Bus, auf dem Weg in ein neues, unbekanntes Leben – und draußen steht Tara, ihre Lehrerin, die ihr geholfen hat zu fliehen. Sie sagt kein Wort, sie winkt nicht – sie lächelt nur.
Dieses eine Lächeln trägt so viel in sich: Mut, Abschied, Liebe, Hoffnung. Für Asha wird in diesem Moment klar, dass Hoffnung nicht immer groß und laut sein muss. Manchmal ist sie ganz still. Manchmal ist sie ein Blick, ein Lächeln – etwas, das bleibt, auch wenn alles andere verschwindet.
Tara bleibt zurück im Bürgerkrieg, wissend, dass sie Asha eine Chance gegeben hat. Und Asha nimmt dieses Lächeln mit – als Kraftquelle für alles, was vor ihr liegt.
Für mich steckt in dieser Szene die ganze Essenz der Geschichte: Dass selbst in dunkelsten Momenten ein einzelner Mensch mit einer kleinen Geste ein ganzes Leben verändern kann.
Gibt es Themen, über die du in Zukunft noch schreiben möchtest, weil sie dich persönlich beschäftigen oder gesellschaftlich wichtig sind?
Ja, auf jeden Fall. Es gibt Themen, die mich tief bewegen – und über die ich schreiben möchte, weil ich glaube, dass Geschichten Menschen nicht nur unterhalten, sondern auch berühren und stärken können.
Ein zentrales Anliegen ist für mich, anderen Mut zu machen, das Leben mit mehr Leichtigkeit und Vertrauen anzugehen – auch dann, wenn es schwer fällt. Ich möchte zeigen, dass selbst in schwierigen Momenten Hoffnung möglich ist, und dass kleine Gesten, wie ein Lächeln oder ein offenes Herz, oft den größten Unterschied machen können.
Gleichzeitig beschäftigen mich Themen wie Tierschutz und Umweltschutz sehr. Ich bin überzeugt, dass wir als Gesellschaft mehr Verantwortung für unsere Mitgeschöpfe und unseren Planeten übernehmen müssen – und dass Empathie nicht an der Grenze zwischen Mensch und Tier enden darf. Auch darüber möchte ich in Zukunft schreiben: über unsere Verbindung zur Natur, über Achtsamkeit im Alltag und darüber, wie wir alle Teil einer Veränderung sein können – durch Mitgefühl, nicht durch Schuld.
Ich wünsche mir, dass meine Texte Kraft geben – für Menschlichkeit, für Mitgefühl und für eine Welt, in der man trotz allem gern lebt.
Was möchtest du Menschen, die deine Geschichte gleich lesen werden noch mitgeben?
Ich wünsche mir, dass meine Geschichte daran erinnert, wie kraftvoll kleine Gesten sein können – wie ein einfaches Lächeln, ein offenes Herz oder ein Moment echter Aufmerksamkeit. Man muss nicht die Welt verändern, um einem anderen Menschen Hoffnung zu geben.
Auch ich merke im Alltag – sei es durch Stress, Druck oder die vielen kleinen Herausforderungen – wie leicht man sich von Negativität mitreißen lässt. Aber ich versuche ganz bewusst, das Lächeln nicht zu verlieren. Nicht, weil immer alles leicht ist – sondern weil es genau dann am meisten zählt.
Ein Lächeln kostet nichts – und kann doch so viel geben. Es schafft Verbindung, Wärme, manchmal sogar einen Neuanfang. Wenn wir alle ein bisschen öfter einfach da sind, helfen, ohne groß zu überlegen, oder einfach ehrlich lächeln – dann wird vieles leichter. Für uns selbst. Und für andere.
Vielleicht ist das die wichtigste Botschaft meiner Geschichte: Dass Menschlichkeit im Kleinen beginnt – und dass sie immer Raum findet, wenn wir ihr Raum geben.
Paulinas Kurzgeschichte: Der Bus der Hoffnung
Prolog
Ich schließe die Augen, setze einen Schritt nach draußen und lasse die Sonnenstrahlen, die durch die Palmen scheinen, meine Haut erwärmen.
Ich atme tief ein, während der geliebte Duft feuchter Erde und rauchiger Küche die Luft erfüllt.
Ich schultere meine Tasche mit dem euphorischen Gefühl, dass heute ein neues Schuljahr
beginnt und schlucke den letzten Bissen der Papaya hinunter.
Der Weg zur Schule ist kurz, aber voller Leben. Am Straßenrand finden sich viele kleine Läden, aus denen der Duft von Gewürzen strömt, während mir Tuk–Tuks einen kühlen Windstoß ins
Gesicht schicken. Meine Freunde spielen oft noch auf der Straße, bis sie mich sehen und wir den Weg gemeinsam zur Schule nehmen.
Komischerweise ist es an diesem Morgen stiller als sonst. Selbst der Laden von Herrn Perera
scheint geschlossen zu sein – etwas, das ich bis jetzt noch nie erlebt habe.
Ich runzele meine Stirn und schaue in Richtung des Schimmens vor mir. Was liegt da? Ein
Schuh? Nein. Es ist ein verkohlter Stofffetzen – mit Blut? Unbehagen macht sich in mir breit.
Doch etwas Unbekanntes zieht mich weiter, ein stummer Ruf, dem ich nicht wiederstehen kann.
Ich fahre herum, als ich plötzlich eine laute Stimme wahrnehme.
„Asha, geh schneller und dreh dich nicht um!“, ruft Tara, die hinter mir angerannt kommt – mein Herz macht einen weiteren Satz, als ich meine Lieblingslehrerin sehe. Ihre Stimme klingt
ungewohnt streng und in ihrem Gesicht liegt ein Ausdruck, den ich nicht deuten kann. Sie sieht
aus, als würde sie von etwas verfolgt werden.
Bevor ich sie danach fragen kann, ertönt ein lauter Knall, der mir einen Aufschrei entlockt.
Er ist weit weg, aber doch scheint er so nah, dass mein ganzer Körper erschaudert. Mein
Herzschlag wird noch rasender und es ist wie ein Donner, der hinter uns ertönt, aber doch ist
kein Regen zu sehen.
„Was war das?“
Sie antwortet mir nicht. Stattdessen zieht sie mich in ihre Arme und blickt sich weiter um. Sie
drückt mich in eine andere Richtung und dann sehe ich ihn. Dunkler, beißender Rauch.
Nicht der Rauch, den ich von unserem Dorf gewohnt bin.
Es ist ein brennender Schmerz, der sich in meine Nase schleicht und tief in meinen Atemweg
eindringt. Ich muss husten. Trotz des Rauches kann ich erkennen, dass Häuser in Flammen
stehen, da sie grell zwischen der Dunkelheit und den Schwaden aufblitzen.
Folglich nehme ich die Schreie der Menschen wahr und sehe, wie sie in verschiedene Richtungen rennen. Tara und ich sind mitten drinnen.
Tara versucht mir die Augen zuzuhalten und ihre Stimme scheint von Angst zerfressen. Es trifft
mich bis ins Mark und schlagartig verspüre auch ich pure Angst. Was ist hier los? Und warum ist alles anders als sonst?
Sie presst ihre Finger fest auf meine Augen, doch sie schafft es nicht, mich vor dem Anblick zu
schützen. Ein Mann liegt mit zerfetzten Klamotten regungslos auf der Straße. Er bewegt sich
nicht, dennoch sind seine Augen offen. Ich kann nicht sagen, warum er nicht aufsteht, aber Tara schluckt nur schwer und hält mich fester.
„Wir gehen nicht mehr zur Schule. Es ist nicht sicher, wir müssen hier weg.“
Ich nicke nur, denn ich verstehe die Situation nicht und auch ihre Worte scheinen an mir
abzuprallen.
„Es sind…Männer…Soldaten…glaube ich und wir müssen…hier weg!“
Ihre Stimme bricht, wir verlassen den Weg und laufen in die entgegengesetzte Richtung, aus der ich glaube, gekommen zu sein.
Schlagartig brennt es nur noch weiter in meiner Nase, in meinen Augen und mein Körper fühlt
sich taub an. Ich spüre die Panik hinter der dicken Nebelwand.
Wir passieren den Bogen zu unserem Dorf und ich erkenne sofort, dass Flammen lichterloh
brennen, es scheint auch unser Haus einzuschließen.
Tara hält mich nur weiter fest, und sie sagt:
„Ich bringe dich hier weg.“
Ich bemerke gar nicht, wie mir geschieht, aber mein ganzes Gesicht ist benetzt von Tränen und ich will doch nur zurück zu meiner Mama. Doch sie hält mich fest.
„Wo ist Mama?“, schreie ich und versuche mich loszureißen. Tara schaut zum Feuer und
deutet mit einer Handbewegung an, dass wir sie suchen werden. Es ist so laut, dass ich ihre
Worte nicht mehr verstehen kann.
Sie zerrt mich immer weiter die Straße entlang, bis wir auf einen Bus zukommen, der von so
vielen Menschen umgegeben wird, dass ich den Bus fast gar nicht mehr erkennen kann. Ich höre nur wie ein Mann schreit:
„Die Kinder zuerst!“
Sie schafft es, dass wir uns irgendwie zur Tür vorschieben, vorbei an den anderen Menschen. Mit einem Mal werde ich in den Bus gehoben. Warum hat sie meine Hand losgelassen?
Ich blicke mich um, spüre Körper an Körper und ringe weiterhin nach Luft. Wo ist sie und wo
ist meine Mama? Niemand in diesem Bus kommt mir bekannt vor. Wohin bringt er uns?
Es fühlt sich an, wie in einem meiner Albträume, wo ein riesiges, unsichtbares Monster über
unser Dorf herfällt.
Gegenwart
Das Klirren von Geschirr und das eigenartige Summen der Kaffeemaschine schickt mich wieder ins Hier und Jetzt – ein weiterer Tagtraum, der den Schweiß auf meine Stirn treibt und mich
beinahe die Kaffeetasse kostet.
Ich blicke mich um und sehe, wie die meisten Menschen vertieft in Gespräche sind und höre das Porzellan klirren, wann immer ein Kuchenstück auf die Gabel geschoben wird.
Es ist der einzige Ort in diesem riesigen Gebäude, welcher ein bisschen Normalität verspricht,
fern ab, von all diesen sterilen Wänden und besorgten Blicken.
Ich sitze an einem kleinen Ecktisch und umklammere meine Tasse weiterhin. Die Wärme ist das Einzige, das mich irgendwie am Boden hält.
Mein Blick schweift weiter durch den Raum, bis ich das Mädchen, mit den langen, braunen
Haaren am Nebentisch sehe. Sie wühlt in ihrer Tasche herum und dabei kann ich sehen, dass die Haare auf ihrer linken Schläfe abrasiert sind und eine große Narbe ihren seitlichen Kopf ziert. Es sieht nach einem frischen Wundmal aus und ihre Kopfbedeckung liegt achtlos vor ihr auf dem
Tisch. Sie scheint sich nicht sonderlich dafür zu interessieren, es abzudecken. Kurz darauf findet sie, was sie sucht. Eine Broschüre. Ich kann die Worte „Leben mit Glioblastom“ erkennen und es löst eine dunkle Erinnerung aus.
Bevor ich jedoch in eine weitere Erinnerung falle, ertönt ein lautes Geräusch und ich zucke
zusammen, als ich sehe, wie sich ihr Tascheninhalt auf dem Boden verteilt. Ich versuche, mich
vorzubeugen, um ihr zu helfen, wobei sich unsere Finger berühren.
„Oh, entschuldige, ich wollte nur helfen.“, erwidere ich.
„Nein, schon gut, danke.“
Sie versucht, die Sachen wieder in ihre Tasche zu stopfen und legt sie auf den Tisch vor ihr.
Dabei sehe ich, wie sie mich anstarrt. Tatsächlich einen Moment zu lang, als ob sie etwas sagen will, aber es dann doch nicht ausspricht.
„Du bist nicht von hier, oder?“
Die Frage kommt dann doch so rasch, als bricht sie aus ihr heraus.
„Nein, tatsächlich bin ich nicht hier geboren. Ich komme ursprünglich aus Sri Lanka.
Mein Name ist übrigens Asha.“, entgegne ich.
Ihr Blick wandert zu der Broschüre in ihrer Hand und ich spreche weiter:
„Und du? Du bist nicht nur wegen eines Tees hier, nehme ich an?“ Dabei verschlucke ich
mich selbst fast, weil meine Worte so direkt sind.
Ihre Mundwinkel zucken.
„Naja, man könnte sagen, das Leben hat mich auf einen sehr absurden Umweg geschickt
und manchmal weiß ich auch nicht, was die Sterne sich dabei gedacht haben. Nenn mich einfach Minna.“
„Das kenne ich nur zu gut, Minna.“
Dabei ertappe ich mich selbst, wie viele Erinnerungen in diesen einfachen Worten liegen. Ich
schiebe meine Tasse weiter an mich heran und will mich schon fast dahinter verstecken. Ihr Blick ist so eindringlich. Dann schweift er ab und sie starrt aus dem Fenster, wo der Regen nur so vor sich hin prasselt. Es sieht so aus, als würde es heute nicht mehr hell werden. Die Welt da draußen scheint im Moment verschwommen, aber für mich ist es ein Dauerzustand.
Keiner von uns sagt etwas und ich habe das Gefühl, dass eine unausgesprochene Anspannung zwischen uns liegt. Ich höre nun wieder die anderen Stimmen, die Kaffeemaschine und das
Surren des Kühlschranks hinter mir.
„Es ist wirklich komisch…“, beginnt sie und ihre Stimme klingt auf einmal viel leiser.
„…wie still die Welt wird, wenn dir jemand sagt, dass du vielleicht nur noch einen Tag, eine
Woche oder vielleicht doch ein paar Monate oder Jahre hast. Dann diese Operation überlebst
und nun deinen Tee trinkst, als wäre nichts gewesen. Alles dreht sich weiter.“ Ich versuche ihren Blicken einzufangen und in ihren Augen etwas zu lesen. Traurigkeit kann ich nicht erkennen. Da ist einfach nichts. Nichts weiter als diese Direktheit und Offenbarung mir gegenüber.
„Das Erste, was ich gedacht habe, als ich diese Diagnose bekommen habe: wo ist die
verstecke Kamera und wer hat meine eigentliche Diagnose? Da war kein Schmerz und ich habe es auch lange Zeit niemanden erzählt.“ Sie nimmt einen Schluck aus ihrer Teetasse.
„Ich hatte das Gefühl, wenn ich es einfach für mich behalte und es niemanden sage, dann
kann es auch nicht so real sein.“
Ich streiche mit meinen Fingern über die Außenseite meines Bechers und irgendwie kann ich die Wahrheit in ihren Worten fühlen.
„Ich kenne das Gefühl.“
„Wirklich?“
„Ja, bevor ich hierher kam, war ich monatelang unterwegs und dachte immer wieder, dass
ich die Reise nicht überleben werde. Das erste Mal aufatmen konnte ich dann im Flüchtlingslager, aber ich wollte mir nicht eingestehen, was passiert war. Ich wollte nicht, dass es real wird. Ich dachte, dass ich das Schlimmste überlebt hatte, aber die Realität trifft mich immer noch jeden Tag aufs Bitterste. Ich musste alles zurücklassen, was ich gekannt habe, was ich geliebt habe. Meine Familie, meine Freunde und natürlich auch meine Sprache. Ich dachte hier wäre ich sicher, aber…“ Ich versuche die richtigen Worte zu finden.
„…es ist nicht einfach komplett neu anzufangen und auch wenn ich diese Grenze hier
überquert habe, folgt mir meine Vergangenheit auf Schritt und Tritt, sitzt in meinem Nacken und flüstert mir immer wieder zu, dass ich verloren bin.“
Sie lehnt sich zurück und verschränkt ihre Finger miteinander.
„Wie schaffst du es denn, nicht verloren zu sein?“
Ich schaue sie eine gewisse Zeit an, bevor ich antworte.
„Nun, ich habe verstanden, dass Hoffnung nicht bedeutet, dass alles jemals wieder gut
wird. Hoffnung bedeutet für mich, weiterzumachen, selbst wenn du keine Ahnung hast, wie es
enden wird, und was noch vor dir liegt. Ich versuche Kraft aus der Zukunft zu schöpfen, die ich
selbst gestalten kann, unabhängig von Einflüssen, die ich nicht kontrollieren kann.“
„Ich weiß nicht, ob ich das kann.“
Ich versuche sie anzulächeln und ein wenig Wärme in meine Züge zu bringen.
„Weißt du, ich kämpfe immer noch jeden Tag mit meinen Dämonen, aber manchmal
reicht es, wenn man einen Schritt nach dem anderen macht. Irgendwann schauen wir zurück und sehen, wie viel weiter wir gegangen sind, als wir anfangs angenommen haben. Das Leben und die Freude sowie Menschen, die damit einhergehen, sind es wert zu kämpfen.“
Eine Stille entsteht zwischen uns, aber sie ist diesmal nicht unangenehm. Es liegt etwas Neues, Trost und auch Gemeinschaft in ihr.
Ich streife ihre Hand und drücke sie dann.
„Du bist stärker, als du denkst, und du kannst alles schaffen, wenn du fest daran glaubst.
Du hast es soweit geschafft und manchmal ist es auch alles, was wir brauchen, um
weiterzugehen.“
Epilog
Damit kehre ich wieder zurück in den Bus, wo ich nach meinen Liebsten suche. Aus einem
Fenster kann ich in der Ferne erkennen, dass Tara in einem Strudel voller Menschen steht und
mir ein Lächeln schenkt. Ihr Lächeln ist, als würde etwas Helles in dem ganzen Rauch um uns
herum auftauchen und die Dunkelheit vertreiben.
In diesem Moment lernte ich etwas, das ich niemals vergessen werde.
Hoffnung ist nicht immer etwas Großes. Manchmal ist es so einfach, wie eine warme Mahlzeit
und ein Lächeln, das zeigt, dass die Welt nicht nur aus Dunkelheit besteht.
Es gibt Menschen, die dich aus diesem Schattenreich befreien und in den Bus der Hoffnung
setzen.
Du bist nie allein, Hoffnung wächst mit dir.