Türchen 19

Published on December 19, 2023

Gemeinschaft im Tierreich - Brüten in eisiger Kälte

Es ist Juni und der Wind ist beißend. Ungebremst fegt er über die Eiswüste hinweg. Ungemütliche Schneestürme lassen die klirrend kalte Luft erzittern. Graue, Schnee gesättigte Wolken hängen tief über der antarktischen Halley Bay. Die polare Kälte hat kein Erbarmen und wer in dieser lebensfeindlichen Umgebung überleben will, braucht eine Gemeinschaft.

Hier in den windgeschützten Talsenken der Halley Bay im Weddell-Meer sammeln sich jährlich Zehntausende an, die dasselbe Schicksal teilen. Wäre die Kälte nicht schon lebensfeindlich genug, beginnt für Kaiserpinguine nämlich inmitten des antarktischen Winters die Brutsaison. Jedes Jahr kommen sie hier auf dem zugefrorenen Meereis zusammen. Ihre Jungen werden nicht auf dem Festland schlüpfen, sondern auf dem dicken Schelfeis vor der Küste, das dort vor dem Abdriften geschützt ist. Und dass die Kolonien, die an verschiedenen Orten in der Antarktis auftreten, aus mehreren hunderttausend Tieren bestehen können, ist nicht das einzig erstaunliche an dem Zusammentreffen. Die größten Pinguine der Welt riskieren für Brut und Aufzucht jedes Jahr aufs Neue ihr Leben. Weg vom offenen Meer und ihrer Nahrungsgrundlage Fisch bahnen sie sich ihren kilometerlangen Weg landeinwärts Richtung Südpol. Wie alle Vögel legen auch Pinguine Eier, die aber auf dem Eis liegend hoffnungslos verloren wären. Bei den Kaiserpinguinen kümmern sich Männchen und Weiblich gleichermaßen um die gemeinsame Brut. Nach der Paarung und dem Ablegen der Eier kehren die erschöpften Weibchen zum offenen Meer zurück, um sich mit frischem Fisch zu stärken. Während ihrer Abwesenheit brüten die Väter das Ei aus. Um dieses vor den eisigen Temperaturen zu schützen, schieben es Königspinguin-Männchen unter ihr dichtes Bauchgefieder und tragen das Ei dabei auf den Füßen. Die klirrende Kälte hat die Evolution hier zu einem besonderen Ausgang gesteuert. Denn das ist einzigartig im Tierreich. Die anschließenden sechzig Tage, bis die Jungtiere schlüpfen, werden für die Männchen eine kräftezehrende Zeit. Sie verlieren dabei bis zu einem Drittel ihres Körpergewichts.
Tatsächlich sind Kaiserpinguine die einzigen Vögel, die im Winter brüten. Die Küken der großen Vögel brauchen den gesamten Frühling und Sommer, der im Polarkreis ohnehin schon kurz ist, um flügge zu werden. Grund dafür ist auch die Körpergröße, die bei ausgewachsenen Tieren bis zu einem Meter beträgt.

 

Kaiserpinguin-Küken schaut unter der Bauchlasche eines Elterntieres hervor
© Fritz Pölking / WWF, Küken zwischen den Füßen des Elterntieres

War die Brut schließlich erfolgreich, erwartet die frisch geschlüpften Küken reichhaltiger Fischbrei, den die zurückkehrenden Mütter hervorwürgen. Jetzt kommt es zum Rollenumkehr. Die Männchen übertragen den Weibchen den Nachwuchs, die ihn, wie im oberen Bild zu sehen, ebenfalls unter ihrem Rumpf wärmen, und machen sich anschließend selbst auf den Weg zum Meer. Der Tausch muss schnell erfolgen. Bereits für zwei Minuten der Kälte ausgesetzt kann für die frisch geschlüpften Küken den Tod bedeuten.

Werden die Küken etwas älter und zu groß für die Bauchlasche der Eltern, schließen sie sich zu Kleingruppen zusammen, die trefflich als Kindergärten bezeichnet werden. Das Ausharren in der eisigen Kälte zehrt an den Fettreserven der Tiere. Um nicht zu viel Energie zu verlieren, drängen sich die Vögel aneinander. Biologen sind sich noch immer uneinig, inwiefern die Organisation einer Kolonie funktionieren kann, die so groß ist, dass sie selbst auf Satellitenaufnahmen aus dem All zu sehen ist. Beachtenswert bleibt aber, dass jeder Pinguin mal in die Mitte rotiert und mal am Rand steht. Ohne die gegenseitige Wärme ihrer Artgenossen könnten sie diese Zeit nicht überdauern. Damit zeigen Kaiserpinguine eindrucksvoll, wie essenziell eine Gemeinschaft im Tierreich ist. Ein einzelner Pinguin hätte wohl im ärgsten antarktischen Winter kaum eine Chance zu überleben.

 

Kaiserpinguin-Küken bilden Kindergarten. Adulte Tiere im Hintergrund
© Fritz Pölking / WWF, Kaiserpinguin-Küken und ausgewachsene Tiere

Ein viel größerer Feind als die Kälte ist gegenwärtig der Klimawandel. Rekordtemperaturen lassen das Eis früher schmelzen als noch vor ein paar Jahrzehnten. Die Folgen für den Nachwuchs sind verheerend. Die Küken in ihrem grauen Daunenkleid sind alles andere als hochseetauglich. Das dichte Gefieder schützt sie zwar vor der antarktischen Witterung, ist aber kaum wasserabweisend. Schmilzt das Eis ihnen buchstäblich unter den Füßen weg, bevor sie im Dezember flügge werden, ist das eine essenzielle Gefährdung. Forscher*innen auf der Halley Research Station begleiteten die dort brütende Pinguin-Population über viele Jahre hinweg und dokumentierten auch als es 2016 aufgrund vorzeitiger Eisschmelze zum Brutausfall kam. Doch auch wenn manche Prognosen ein düsteres Bild vom Überleben der Kaiserpinguine in Zeiten des Klimawandels zeichnen, sehen die Biologinnen und Biologen einen kleinen Hoffnungsschimmer für die Art: Sie scheint sehr anpassungsfähig zu sein. Auf den katastrophalen Brutausfall im besagten Jahr reagierten große Teile der Halley Bay-Kolonie mit einer Verlegung des Aufzuchtortes. Eine Entscheidung, die zum Erfolg führte. In den darauffolgenden Jahren konnte wiederrum Bruterfolg verzeichnet werden.

 

 

Quellen:

Kaiserpinguine: “Kaiserpinguine in der Antarktis” unter https://www.ardmediathek.de/video/planet-wissen/kaiserpinguine-in-der-antarktis/swr/Y3JpZDovL3dkci5kZS9CZWl0cmFnLWM5ZjM4NmIxLWJiZGYtNGFkMi05NDYzLTY3NDZkMTU3OTUzNA (Zugriff 15.12.2023)

Lage der Kaiserpinguine: „Tausende Kaiserpinguin-Küken sterben durch Eisschmelze“ unter https://www.swr.de/wissen/kaiserpinguine-bedroht-durch-antarktische-eisschmelze-100.html (Zugriff 15.12.2023)

Einfluss Klimawandel: „Wenn das Eis schmilzt, stirbt der Nachwuchs“ unter: https://www.welt.de/wissenschaft/article247068742/Kaiserpinguine-verlieren-Brutstaetten-durch-Klimawandel.html (Zugriff 15.12.2023)

Neuerliches Brutverhalten: „Kaiserpinguine geben riesige Brutkolonie auf“ unter https://www.spektrum.de/news/kaiserpinguine-geben-riesige-brutkolonie-auf/1641374 (Zugriff 15.12.2023)

Kaiserpinguine in Antarktis: „Wie der Klimawandel Kaiserpinguine bedroht“ unter https://www.tagesschau.de/wissen/klima/kaiserpinguine-klimwandel-antarktis-100.html (Zugriff 16.12.2023)

 


 

Eine Story von Helen

Helen schreibt ehrenamtlich für die WWF Jugend Community. Sie ist im Redaktions- und Aktionsteam. Auch du kannst hier mitmachen - melde dich gerne bei uns.