Waldwissen 2/6 - Der Wald als Kraftort für Körper & Geist

Published on April 11, 2023

    Kraftvoll, verwunschen, mystisch - der Wald hat auf uns eine magische Anziehungskraft. Die überwiegende Zeit unserer Entwicklungsgeschichte lebten wir Menschen im und vom Wald. Doch inzwischen scheinen wir die Verbindung zur Natur zu verlieren. Wird der Wald uns fremd? Nicht, wenn wir uns wieder auf das Abenteuer einlassen, ihn neu zu entdecken.

    In diesen Wochen bekommst du bei uns viele Inspirationen und Anregungen, wie du wieder mehr Zeit im Wald verbringen kannst. Wir laden dich ein, diesen Frühling zu deinem Waldfrühling zu machen!

     

    „Die Seele wird vom Pflastertreten krumm. Mit Bäumen kann man wie mit Brüdern reden und tauscht bei ihnen seine Seele um. Die Wälder schweigen. Doch sie sind nicht stumm. Und wer auch kommen mag, sie trösten jeden.“ (Erich Kästner)

     

    An einem Nachmittag während der WWF Jugend Change Days 2019 führte uns Rüdiger Ewald in den Wald, der das Camp-Geände umgab. Unter seiner Anleitung übten wir, den Wald mit allen Sinnen zu erleben und ganz bewusst im Augenblick zu sein – achtsam, ohne Ablenkung. Schon nach kurzer Zeit merkten wir, wie unsere Gedanken zur Ruhe kamen, wie sich unsere Wahrnehmung intensivierte und wie sich ein positives, warmes Gefühl in uns ausbreitete. Ich erinnere mich genau daran, wie ich unter einem Baum saß und auf Rüdigers Aufforderung hin mit geschlossenen Augen versuchte, den Wald nur zu erfühlen. In diesem Moment brach ein kleiner Schauer über unserem Waldstück aus und kühle Regentropfen fielen mir ins Gesicht. An einem „normalen“ Tag hätte ich wahrscheinlich das Gesicht verzogen und einen Regenschirm aufgespannt, doch in diesem Moment fühlte ich mich so mit der Umgebung verbunden, dass ich unwillkürlich lächeln musste und das Gefühl des Regens auf meiner Haut, der Rinde in meinem Rücken und der Blätter unter meinen Händen zutiefst genießen konnte.

    Doch was genau steckt hinter diesem intensiven, positiven Gefühl? Wieso löst es der Wald in uns aus, was macht diesen Ort so besonders?

    In diesem Teil der Waldfrühling-Reihe wollen wir uns mit den psychologischen und physiologischen Hintergründen der positiven Auswirkungen des Waldes auf unser Wohlbefinden befassen.

     

    1. Psychologische Ebene

    In der heutigen, von Geschwindigkeit, Leistung und technologischem Fortschritt dominierten Zeit sehnen sich immer mehr Menschen nach einer „Rückkehr zur Natur“, suchen nach Ursprünglichkeit und nach einem tieferen Sinn. Sie fühlen sich mitunter leer, orientierungslos oder unvollständig.

    Dies ist in der Psychotherapie und Lebensberatung längst angekommen. Ein Beispiel ist die von Werner Sachon praktizierte existenzialpsychologische Naturtherapie. Er möchte Menschen helfen, ihr eigenes Selbst durch die Nutzung von Naturräumen zu heilen. Mit Blick auf die Leistungsgesellschaft sagt er: „[Die Menschen] spüren und wissen nicht mehr, wer sie selbst sind. Sie sind häufig innerlich zerrissen."1 Statt uns zu fragen, was wir wirklich wollen, haben wir oft ein grundsätzliches „müssen“ verinnerlicht und tendieren dazu, nur noch zu funktionieren. Obwohl Leistung, die Verbesserung des Selbst und das Streben nach Erfolg sicherlich gerade auch Quellen des Sinns, der Struktur und der Zufriedenheit sind, können diese auch überhand nehmen und keinen Raum mehr für Ausgleich und Reflektion lassen.

    Die Naturtherapie verfolgt nun den Ansatz, dass der Mensch die Verbindung zu sich selbst und den eigenen Bedürfnissen und Wünschen in einer ursprünglichen Umgebung, losgelöst vom Alltag, wiederherstellen und stärker empfinden könne. Werner Sachon sagt jedoch auch, dass die Naturtherapie keine Behandlung und der Wald kein Medikament sei.2 In den Wald zu gehen und zu erwarten, mental gesund wieder herauszukommen, ist also kein geeigneter Ansatz. Statt Heilung von außen, kann man in der Natur eher Unterstützung für die Selbstheilung finden und die eigene Kraft aktivieren, indem man sich auf sich besinnt und erkennt, was man wirklich braucht. So zur Ruhe zu kommen und die alltägliche Last für eine Weile abzulegen, kann starke positive Gefühle auslösen und langfristige Perspektivwechsel ermöglichen.

     

    2. Naturwissenschaftliche Ebene

    Unabhängig vom therapeutischen Potenzial des Waldes, haben zahlreiche Studien gezeigt, dass der regelmäßige Aufenthalt im Wald für das generelle Wohlbefinden und für die Prävention psychologischer Probleme förderlich ist.

    Der Begriff „Waldbaden“, der in der japanischen Tradition als „shinrin-yoku“ bekannt ist, ist für die meisten wohl kein Fremdwort mehr. Peter Wohlleben von „Wohllebens Waldakademie“, die in der vorletzten Woche schon einen Gastbeitrag zum Waldfrühling beigesteuert hat, betont in diesem Zusammenhang insbesondere die „Zweckfreiheit“.3 Man löst sich von der alltäglichen To-do-Liste, setzt sich kein Ziel, es soll kein bestimmter Erfolg erreicht werden. Man geht einfach nur in den Wald und hält sich dort (am besten allein, zumindest aber größtenteils schweigend) auf. Liegend, gehend, sitzend, wie es sich gerade gut anfühlt. In Japan ist dies bereits fester Bestandteil der Gesundheitsvorsorge. Japanische Universitäten bieten inzwischen sogar einen Forschungszweig zu Waldmedizin an.4

    Auch in der westlichen Welt wird das Waldbaden immer beliebter – kaum verwunderlich angesichts der vielfältigen positiven Effekte. Die wohl bekanntesten Studien zu den positiven Auswirkungen der Natur auf das menschliche Wohlbefinden liegen auch bereits einige Zeit zurück: Schon im Jahre 1984 wurde im amerikanischen Wissenschaftsmagazin „Science“ eine Studie von Roger Ulrich veröffentlicht, in der gezeigt wurde, dass Patient:innen, die nach einer Operation aus dem Fenster ins Grüne schauen konnten, eine kürzere Genesungszeit und einen geringeren Verbrauch an Schmerzmitteln aufwiesen, als solche, die auf eine Backsteinmauer schauten.5 Im Jahre 2015 veröffentlichten Marc Berman et. al. von der Universität in Chicago im Magazin „Nature“ eine Studie, laut derer sich das Risiko für typische Zivilisationskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Schwäche, Bluthochdruck und Diabetes für die Bevölkerung verringere, je dichter die jeweilige Wohngegend Torontos bepflanzt seien.6

    Viele weitere Studien belegen das physiologische Pendant zur Entspannung, die man selbst im Wald empfindet: Der Blutdruck fällt, das Herz schlägt ruhiger, sogar die Anzahl der Killerzellen im Blut, die gegen kranke Körperzellen vorgehen, steigt an, während das Niveau von Stresshormonen wie Cortisol sich verringert.7

    Sicherlich bleiben viele Fragen noch ungeklärt, sind nicht alle Studien repräsentativ oder von einem untersuchten Waldgebiet auf ein anderes übertragbar. Der grundlegende Gedanke ist aber klar: Der zwanglose, anspruchslose Aufenthalt im Wald tut gut und fördert die Gesundheit.

    Vor 40 Jahren nannte der Evolutionsbiologe Edward Wilson diesen Effekt „Biophilia“ – der Mensch sei quasi genetisch dazu „bestimmt“, die Natur zu lieben.8 Aber: Der Wald ist nicht der einzige Ort, der dies bieten kann. Geringere Feinstaubbelastung, Lärmreduktion und Abstand zum Alltag bietet natürlich auch der Aufenthalt in den Bergen, am Meer oder im Park – Hauptsache Natur!

     

    3. Auf den Weg in den Wald machen

    Wie kann man nun am ehesten von den positiven Effekten des Waldes auf die Gesundheit profitieren, wenn es nicht gleich die professionelle Therapie oder das begleitete Waldbaden sein soll? Forschende der Universität Michigan sind zu dem Schluss gekommen, dass schon 20-30 Minuten pro Tag in einer natürlichen Umgebung das Stresslevel messbar senken.9 Peter Wohlleben spricht von „einer Stunde oder auch länger“, liegend auf dem Waldboden verbracht, oder auch einem achtsamen, wahrnehmenden Spazieren.10 Gerade der Frühlings- und Sommerwald lädt aber auch dazu ein, das Waldbaden mit ruhigen Bewegungen aus Yoga oder Qigong zu verbinden, sich an Atemübungen oder Meditation zu versuchen oder auch Übungen zur Schärfung der Sinne zu unternehmen. In der letzten Woche hat Johanna schon eine Idee mitgegeben: Bewusst im Wald sein durch das Suchen von fünf ganz persönlichen Gegenständen. In den nächsten Wochen werden wir euch weitere Möglichkeiten des Walderlebens mitgeben und hoffentlich dazu anregen, die positiven Effekte des Waldes auf die Gesundheit zu einem regelmäßigen Erlebnis zu machen.

     

     

    Hier findet ihr die erste Waldaufgabe der vergangenen Woche: 5 Gegenstände finden.

    In der nächsten Woche erfahrt ihr im Rahmen der zweiten Waldaufgabe, wie ihr den Wald mit all euren Sinnen wahrnehmen könnt.

    Alle Infos zum Waldfrühling gibt es im Team Natur schützen.

     

    Titelbild: © Marcel Gluschak / WWF (Das Bild zeigt einen Fluss, an dessen Ufer dichte Büsche und Bäume wachsen).

     

    Quellen:

     

    3 https://www.geo.de/natur/naturwunder-erde/21199-rtkl-waldmedizin-besser-als-wellness-wie-waldbaden-unseren-koerper.

    4 https://www.nms.ac.jp/college/english/research/topics/topics02.html.

    Science, Vol. 224, Issue 4647, 1984, S. 420-421.

    6 https://www.nature.com/articles/srep11610.

    7 https://www.welt.de/print/wams/wissen/article154429220/Seelentroester-Wald.html.

    8 https://www.quarks.de/gesundheit/waldbaden-zum-stressabbau/.

    9 https://www.pharmazeutische-zeitung.de/schon-20-minuten-im-gruenen-senken-das-stresslevel/.

    10 https://www.geo.de/natur/naturwunder-erde/21199-rtkl-waldmedizin-besser-als-wellness-wie-waldbaden-unseren-koerper.

     

     

     


     

    Die Autorin Sarah

    Eine Story von: Sarah

    Sarah schreibt ehrenamtlich für die WWF Jugend Community und ist im Redaktions- und Aktionsteam. Auch du kannst hier mitmachen - melde dich gerne bei uns.