Waldwissen 1/6 - Ein Beitrag von Wohllebens Waldakademie

Published on March 26, 2023

    Kraftvoll, verwunschen, mystisch - der Wald hat auf uns eine magische Anziehungskraft. Die überwiegende Zeit unserer Entwicklungsgeschichte lebten wir Menschen im und vom Wald. Doch inzwischen scheinen wir die Verbindung zur Natur zu verlieren. Wird der Wald uns fremd? Nicht, wenn wir uns wieder auf das Abenteuer einlassen, ihn neu zu entdecken.

    In diesen Wochen bekommst du bei uns viele Inspirationen und Anregungen, wie du wieder mehr Zeit im Wald verbringen kannst. Wir laden dich ein, diesen Frühling zu deinem Waldfrühling zu machen!

     

    Wir freuen uns ganz besonders, gleich zu Beginn des Waldfrühlings einen externen Beitrag mit euch teilen zu dürfen. Laura von Witzenhausen von Wohllebens Waldakademie informiert uns diese Woche über das Erwachen der Bäume im Frühling und deren vielfältige Kommunikation miteinander:

     

    "Der Frühling im Wald - Von farbenprächtigen Knirpsen unter Zeitdruck, geschwätzigen Bäumen und knallharten Businesspartnern."

     

     

    Nach einem langen, kalten Winter scharren wir ungeduldig mit den Füßen und lechzen nach der sanften Frühlingssonne und milden Temperaturen. Die ersten Tage im Februar mit Temperaturen um die 20 Grad lassen keine Zweifel, das muss der Frühling sein! Oder doch nicht? 

    Bäume sind in vielerlei Hinsicht geduldigere Zeitgenossen als wir und lassen sich auch durch die ersten warmen Ausreißer nicht in die Irre führen. Während wir die Winterjacken bereits einmotten schauen sich die Riesen des Waldes die Tageslänge an, bevor sie ihre zarten Blättchen entfalten. Und sie schauen tatsächlich. Die Blätter sind mit Lichtrezeptoren ausgestattet, mit deren Hilfe die Bäume Lichtwellen wahrnehmen und die Tageslänge bestimmen können. 

    Allerdings sind die Blätter im Frühjahr noch gut eingepackt und von einer schützenden Schicht aus Knospenschuppen umgeben, die auf den ersten Blick undurchdringlich für jeden Lichtstrahl scheint. Bei genauer Betrachtung sind die feinen Knospenschuppen jedoch lichtdurchlässig, sodass die Sonne zu den Knospen vordringen kann.  Erst wenn die Tage eine bestimmte Länge aufweisen, wissen die Bäume, dass sie die empfindlichen Blätter gefahrlos auspacken können. Buchen warten mit dem Blattaustrieb beispielsweise, bis sie 13 Stunden Tageslicht wahrnehmen können. 

    Auch die Temperaturen spielen natürlich eine wichtige Rolle, um die richtigen Maßnahmen einzuleiten. Bäume sind daher in der Lage zu unterscheiden, ob die Temperaturen stetig steigen und den Frühling einläuten oder ob sie fallen und es Zeit ist sich auf den Winter vorzubereiten. Für Obstbäume beginnt der Frühling sogar erst, wenn sie eine bestimmte Zahl warmer Tage gezählt haben. 

    Ganz nebenbei zeigt sich hierdurch auch, dass Bäume ein Gedächtnis haben müssen, um bei dem ganzen Wirrwarr aus gezählten Tageslängen und Temperaturen nicht durcheinander zu kommen.


    Auch wenn wir äußerlich noch keine Regung bei den Bäumen feststellen können, ist die Vorbereitung auf das kommende Jahr bei den Laubbäumen bereits hörbar. Kurz vor dem Blattaustrieb lassen die Bäume so viel Wasser durch den Stamm bis hinauf in die Krone schießen, wie zu keiner anderen Jahreszeit. Mit einem Stethoskop ist dieser enorme Wasserdruck sogar hörbar, ehe er bereits wieder deutlich nachlässt, wenn die Blätter ausgerollt sind.

    Bevor die Bedingungen für Buche, Eiche und Co., endlich alle passen, überlassen sie ihren kleineren, aber alles andere als unscheinbaren, Kollegen im Wald die Bühne. Farbenprächtig strahlen Buschwindröschen, Leberblümchen und Scharbockskraut bereits früh im Jahr mit ihren zahlreichen Blüten um die Wette. Die Knirpse sind wahre Sprinter und nutzen das kurze Zeitfenster zwischen Ende Februar und Anfang Mai, um das zu vollbringen, wofür andere Pflanzen den ganzen Sommer benötigen. Innerhalb von nur ein bis zwei Monaten blühen sie, produzieren Zucker für die nächsten zehn Monate, der in den Wurzeln eingelagert wird und sichern nebenbei noch ihr Fortbestehen, indem sie sich vermehren.  Anfang Mai wird ihnen dann das Licht am Waldboden endgültig ausgeknipst und die Zeit für die Riesen im Wald ist gekommen. Wenn die frischen Blätter sich erst einmal alle aus den Schuppen gerollt und entfaltet haben ist das Kronendach in einem natürlichen Wald so dicht, dass nur noch 3% des Sonnenlichts den Boden erreicht. Bei so viel Dunkelheit beenden die Frühblüher ihr Jahreswerk lieber und begeben sich bis zum nächsten Jahr wieder in die frühzeitige Winterruhe.


    Nun hat die schweigsame Zeit für die Waldbäume ein Ende. Bäume sind tatsächlich sehr gesprächige und soziale Wesen, die einen regen Austausch mit ihren Artgenossen schätzen. Für die Kommunikation bedienen sie sich allerdings einer Sprache, die für uns nicht hörbar ist. 

    Mittels einer Vielzahl von Duftvokabeln bringen sich die Bäume gegenseitig auf den neuesten Stand. Gerade im Frühling möchten alle Waldbewohner, auch die tierischen, ihre Energiereserven auftanken. Bäume, wie die Buche, locken dabei mit ihrem frisch ausgetriebenen, saftigen Grün. Da beißen Rehe gerne einmal kräftig zu und hinterlassen dabei ihren Speichel an der Bissstelle. Anhand des Speichels kommt der Baum dem Übeltäter zweifellos auf die Schliche und beginnt Bitterstoffe in den Blättern einzulagern, um dem Reh das Buffet zu vermiesen. Wenn wir uns allerdings ein paar Buchenblätter für einen vitaminreichen Frühlingssalat abzupfen, fängt der Baum sofort mit der Wundheilung an, ohne vorher unnötig Bitterstoffe einzulagern. Bäume könne den Unterschied also schmecken und effizient auf den jeweiligen Angriff reagieren. 

    Damit die Nachbarn sich ebenfalls auf einen bevorstehenden Beutezug vorbereiten können, wird die Nachricht per Duftbotschaft auf den Weg gebracht. Für die Verbreitung verlassen sich die Bäume auf den Wind, der allerdings nicht der zuverlässigste Übermittler ist. So werden nur die Baumnachbarn in Windrichtung informiert, während die Kollegen im Windschatten unwissend bleiben. 


    Wenn Bäume sicher gehen möchten, dass alle Familienmitglieder Bescheid wissen, nutzen sie eine andere Form der Kommunikation, die sich unterirdisch abspielt. Über die Wurzeln verbinden sich Bäume einer Art so weit, dass diese sogar miteinander verwachsen. Mittels einer Art Nervenzelle in den Wurzelspitzen werden die Nachrichten über elektrische Signale an die umliegenden Bäume weitergeleitet. In Zeitspannen von Bäumen gedacht, läuft die Kommunikation mit einer Geschwindigkeit von einem Zentimeter pro Sekunde erstaunlich schnell ab. Da jeder Baum Wurzeln ausbildet, die mindestens doppelt so weit reichen wie seine Krone, ist auch die Reichweite bereits sehr beachtlich. 

    Um die Vernetzung zusätzlich auszuweiten und zu verhindern, dass ein Baumnachbar sich bei der stillen Post nicht beteiligen möchte, haben die Bäume noch einen weiteren Partner mit ins Boot genommen. Es sind Pilze, die ihre unzähligen, feinen Fäden, wie Glasfaserkabel durch den gesamten Waldboden ausbreiten und die Wurzelspitzen mit einem watteähnlichen Geflecht umweben, um die Bäume miteinander zu vernetzen. Klingt irgendwie alles so vertraut nach unserem Internet? Und tatsächlich sind die Abläufe ähnlich, sodass Forscher sogar vom „Wood Wide Web“ sprechen. 

    Nicht nur Nachrichten werden über das Internet des Waldes verbreitet, über dieses Geflecht können Bäume sich auch gezielt Zucker zuleiten, wenn beispielsweise ein Familienmitglied krank oder schwach ist. Denn bei Waldbäumen derselben Art gilt der Grundsatz: „Nur zusammen sind wir stark“. Die Pilze hingegen sorgen für eine gerechte Verteilung des Zuckers im Wald auch zwischen verschiedenen Baumarten, die sich sonst nicht viel zu sagen haben. Während man vielleicht an kleine Robin Hoods im Boden denken könnte sind die Absichten der Pilze jedoch eher eigennützig. Um am Ende nicht leer auszugehen, weil ein Verbündeter stirbt, verbinden sie sich vorsorglich mit Bäumen unterschiedlicher Arten und garantieren so ihre Versorgung mit Zucker. 

    Die Pilze sind sich ihrer wertvollen Leistungen für die Bäume durchaus bewusst und lassen sich ihre Dienste entsprechend teuer bezahlen. Bis zu einem Drittel der gesamten jährlichen Zuckerproduktion muss ein Baum an die geschäftigen Pilz-Partner abdrücken, um die Internetverbindung stabil zu halten. 

    Da die unterirdische Kommunikation allerdings wetterunabhängig und sehr zuverlässig, wenn auch langsamer als die Duftsprache ist, sind die Bäume bereit den hohen Preis zu zahlen.


    Im Frühling ist daher unter unseren Füßen und um uns herum wieder einiges los im Wald. Auch wenn wir das geschwätzige Treiben nicht hören können, erreichen uns die Duftbotschaften der Bäume ebenfalls und hinterlassen bei einem Waldspaziergang zahlreiche positive Effekte auf unsere Gesundheit. 

     

     

    Kaum zu glauben, was zu dieser Zeit schon alles los ist im Wald!
    Letzte Woche haben wir den Startschuss für den WWF Jugend Waldfrühling gegeben. Wenn ihr diese Woche zu "euerem" Stück Wald zurückkehrt, betrachtet ihr dieses mit anderen Augen? Erzählt uns in den Kommentaren von euren Erlebnissen und Gedanken über das Erwachen der Bäume und ihr "Wood Wide Web"!

     

    Am nächsten Sonntag werden wir die erste "Waldaufgabe" mit euch teilen. Dabei wird es um eure ganz persönlichen Andenken an den Waldfrühling gehen und darum, wie ihr das Waldfrühling-Gefühl mit nach Hause nehmen könnt.

     

     

    Titelbild: © Ruben Smit / Wild Wonders of Europe WWF (Das Bild zeigt einen Teil eines Waldes mit bemoosten Bäumen und dicht bewachsenem Waldboden in unterschiedlichen Grüntönen.)

     

     

     


     

    Die Autorin Sarah

    Eine Story von: Sarah

    Sarah schreibt ehrenamtlich für die WWF Jugend Community und ist im Redaktions- und Aktionsteam. Auch du kannst hier mitmachen - melde dich gerne bei uns.