
Türchen 3
Whatever happened to morals?
Manchmal muss ich mich rechtfertigen, dass ich Müll trenne, kaum tierische Produkte esse und nicht fliegen will. Das geht vermutlich einigen so. Ich sehe mich oft mit folgenden Aussagen konfrontiert: Das bringt doch eh nichts. Es macht keinen Unterschied, ob du jetzt Müll trennst oder nicht. So rettest du die Welt auch nicht. Der Flieger fliegt, auch wenn du nicht drinsitzt.
Abgesehen davon, dass die Marktlogik von Angebot und Nachfrage scheinbar nicht verstanden wurde, frag ich mich dann immer: Whatever happened to morals? Was ist eigentlich mit der Moral?
Es ist desillusionierend zu glauben, dass umweltbewusste Konsumentscheidungen die Welt retten. Aber wer sich mal die Umweltbilanzen von Hafermilch im Vergleich zu Kuhmilch anschaut, wird verstehen, dass umweltbewusste Konsumentscheidungen die Welt viel eher besser als schlechter machen.
Mich nervt es, dass die Gründe für oder gegen eine umweltbewusste Lebensführung auf den Aspekt der Funktionalität beschränkt werden. Wir sind doch keine Rennräder, die optimiert werden. Der Sattel muss noch 5mm runter, die Pedale gegen 3g leichtere ausgetauscht werden und der hintere Reifen braucht 0,5 bar mehr. Dann funktioniert das Rad am besten. Was Menschen von Maschinen unterscheidet, ist (vieles, aber u.a.) die Moral.
Ich kaufe Hafermilch nicht deshalb, weil mein mir zur Verfügung stehender CO2-Haushalt für diese Woche schon ausgeschöpft ist. Ehrlich gesagt kenne ich die Zahlen zur Umweltbilanz von Milch gar nicht. Aber ich weiß, dass die Kuhmilch, die ich im Supermarkt kaufen kann, von Tieren kommt, die ein leidvolles Leben hatten; dass Tierhaltung das Treibhausgas Methan freisetzt und dass wir auf den weltweiten Ackerflächen, auf denen Tierfutter angebaut wird, besser Nahrungsmittel für Menschen anbauen sollten – vor allem wenn wir das globale Hungerproblem lösen wollen. Außerdem ist das Opfer sehr gering, dass ich bringe. Hafermilch schmeckt mir inzwischen sogar besser und ist vermutlich auch gesünder.
Anfang dieses Jahres habe ich mich mit einer Freundin über Manifestation unterhalten - ein bewusst gesteuerter Prozess, durch den Wünsche, Visionen und Ziele Realität werden sollen. Etwas Unsichtbares, Nicht-Greifbares nimmt dann eine reale Form an. Die Freundin hat ihre Werte und Zukunftsvisionen aufgeschrieben und liest sie sich jetzt jeden Morgen bevor sie das Bett verlässt laut vor. Sie erzählte, wie sie danach mit guter Laune in den Tag startet. Die Idee hat mir gut gefallen. Als ich meine Werte aufschrieb, fiel mir auf, dass ich entgegen einem meiner stärksten Glaubenssätze (Ich weiß nicht, wer ich bin und wo ich hinwill mit meinem Leben) anscheinend ziemlich genau weiß, wer ich sein will. Bzw. wer ich bin, denn der Trick ist natürlich, nicht zu fragen „Wer will ich sein?“, sondern „Wer bin ich?“. Nicht „Ich bemühe mich, immer mal wieder neue Wege zu finden, mich kreativ auszudrücken.“ Sondern „Ich bin kreativ. Ich finde immer neue Wege, meine Kreativität auszudrücken.“ Nicht „Ich werde mein Bestes geben, meinen Werten zu entsprechend zu leben.“ Sondern „Ich bin integer.“ Dass das nicht immer hinhaut, ist eh klar. Wir sind ja keine Fahrradsattel, die einmal eingestellt für den Rest ihrer Existenz in der gleichen Position bleiben.
Letztes Jahr an Weihnachten hatten wir in der Familie eine sehr hitzige Diskussion zum N-Wort. Einige waren dagegen, es im Sprachgebrauch zu zensieren, andere dafür. Es ging darum, ob die Zensur wirklich helfe, Diskriminierung abzubauen – also um die Funktionalität dieser Entscheidung. Irgendwann gingen mir die Argumente aus – vor allem deshalb, weil ich mit studierten Sprachwissenschaftler:innen an einem Tisch saß, die von irgendwelchen Harvard-Studien erzählten, die bewiesen haben sollen, dass sprachliche Zensur die Tabus nur noch betonen – oder so. Diese Art von Diskussionen langweilen mich schnell. Was soll ich darauf sagen? Ich hab diese Studie nicht gelesen und würde sie vermutlich nicht mal verstehen. Dieses Jahr wüsste ich, was ich sage: Ich bin mir meiner Werte bewusst und das N-Wort in meinem Sprachgebrauch zu zensieren passt eher zu ihnen als es nicht zu tun.

Die Autorin Lena
Eine Story von: Lena
Lena schreibt ehrenamtlich für die WWF Jugend Community. Sie ist im Redaktions- und Aktionsteam. Auch du kannst hier mitmachen - melde dich gerne bei uns.
Was sind eure Werte? Habt ihr sie euch mal aufgeschrieben?