
Was bedeutet das Wahlergebnis für unsere Zukunft?
Deutschland hat gewählt. Welche Regierung daraus hervorgeht, ist noch nicht klar. Klar aber ist: Vor uns liegt das Jahrzehnt der Entscheidungen. Noch können wir das 1,5-Grad-Limit des Pariser Klimaabkommens einhalten. Noch können wir die Klimakrise und das weltweite Artensterben eindämmen. Es geht darum, das Schlimmste zu verhindern und für uns junge Menschen einen bewohnbaren Planeten zu erhalten.
Wir von der WWF Jugend sagen: Wer jetzt regieren will, übernimmt für dieses Land die wichtigste Aufgabe unserer Zeit - und muss sich dieser Verantwortung bewusst sein. Die neue Bundesregierung muss:
- endlich konsequent Entscheidungen auf Grundlage der wissenschaftlichen Erkenntnisse treffen,
- mutige Entscheidungen fällen, die Deutschland zum Vorreiter bei Nachhaltigkeit und Klimaschutz machen,
- konstruktiv zusammenarbeiten und das in den Fokus rücken, worum es geht, um Vertrauen zurückzugewinnen
- und mehr Jugendbeteiligung in der Politik zulassen.
Die Jugend stellt eine klare Aufgabe
Die Umfragen zum Wahlverhalten zeigen ganz klar: Es sind vor allem die jungen Wähler*innen, die eine Veränderung wollen. Und es sind diese jungen Menschen, die am längsten damit leben müssen, was die jetzige Politik entscheidet. Zwar bildet die Altersgruppe der Jugend eine Minderheit in unserer alternden Gesellschaft - aber diese Menschen sind die deutsche Bevölkerung der Zukunft. Nach einer Befragung der Wähler*innen durch die Forschungsgruppe Wahlen betrachten die meisten Menschen den Klimawandel als das wichtigste Problem, das es zu lösen gilt - noch vor Corona und sozialen Themen.
Die 620.000 Menschen, die am vergangenen Freitag in über 470 Orten auf die Straße gegangen sind, haben auf beeindruckende Weise gezeigt, dass diese Perspektive durch alle Altersgruppen geht. Denn es waren nicht nur Jugendliche, die für mehr Klimaschutz protestiert haben. Neben Fridays For Future haben auch zahlreiche andere Initiativen der Klimabewegung teilgenommen und auch tausende weitere Menschen aus Gruppen, die sich gegen Rechts, für Feminismus oder Gesundheitsthemen engagieren. Dieser Klimastreik hat gezeigt, wie vielfältig die Klimabewegung ist! Ganze Schulklassen, Firmenbelegschaften und Großeltern mit ihren Enkel*innen waren dabei und haben gemeinsam klargemacht: Es geht ums Ganze, denn die nächsten vier Jahre sind richtungsweisend.
Mit Klimaskepsis und Populismus nichts zu holen
Die AfD, die sich nicht konsequent vom Rechtsextremismus abgrenzt, hat gestern Stimmen verloren. Das ist eine gute Nachricht für die Demokratie. Und dennoch ist die Tatsache, dass dieser Partei jede zehnte Stimme zugefallen ist, ein Warnsignal. Dass so viele Menschen einer rechtspopulistischen Partei folgen, die unverholen den menschlichen Einfluss auf den Klimawandel leugnet, macht uns Sorgen.
Die demokratischen Parteien, die Organisationen der Zivilgesellschaft und jede*r einzelne von uns müssen sich weiterhin klar gegen Querdenkertum und Klimamythen stellen. Wissenschaftsfeindlichkeit und Verschwörungstheorien haben in einer zukunftsfähigen Gesellschaft keinen Platz.
Ökologie und Klimaschutz sind endlich bei allen demokratischen Parteien zum Top-Thema aufgestiegen
Seit Jahren und Jahrzehnten demonstrieren Menschen in Deutschland für Klima- und Umweltschutz. Gleichzeitig mahnt uns die Wissenschaft immer wieder, endlich zu handeln. Das zeigt nun Wirkung. Von allen demokratischen Parteien gab es im Wahlkampf und auch unmittelbar nach der Wahl klare Aussagen, die Politik der nächsten Regierung müsse ökologischer werden. Dafür ist es auch allerhöchste Zeit. Denn Klima-, Umwelt- und Naturschutz sind keine Randthemen. Echter Aufbruch gelingt nur, wenn der Schutz unserer Lebensgrundlagen mit allen anderen Politikaufgaben verbunden wird. Es wird nun darauf ankommen, dass dies keine schönen Worte bleiben, sondern Taten folgen.
Business as usual hat ausgedient
Der WWF benennt ganz konkret, was die zukünftige Bundesregierung umsetzen muss:
Die kommende Regierung muss dringend den Ausbau der Erneuerbaren voranbringen. Wind und Sonne sind die Eckpfeiler eines Lebens und Wirtschaftens innerhalb der planetaren Grenzen, die für uns Menschen gelten. 2030 brauchen wir einen Anteil der Erneuerbaren am Bruttostromverbrauch von mindestens 80 Prozent. Dafür müssen unter anderem die Ausbauzahlen entsprechend sein, bei Wind an Land zum Beispiel mindestens 5,5 Gigawatt pro Jahr, bei Photovoltaik mindestens 10 Gigawatt.
Klima- und umweltschädliche Subventionen gilt es zu beenden und in klimafreundliche Lösungen umzulenken. Für den Strukturwandel braucht es ausreichend Fördermittel und Investitionen für klimafreundliche Technologien und Verhaltensweisen. Wir brauchen ein nachhaltiges Finanzsystem und das volle Potenzial einer Kreislaufwirtschaft, die diesem Namen gerecht wird.
Aufbruch und wirksame Maßnahmen braucht es überdies im Kampf gegen das Artensterben und die Zerstörung von Lebensräumen. Der Raubbau an den Ökosystemen an Land und im Meer hat weltweit ähnlich verheerende Auswirkungen wie die Klimakrise. Beide Krisen befeuern sich gegenseitig. Die kommende Bundesregierung muss diese Doppelkrise entschlossen angehen, indem sie international noch mehr Verantwortung übernimmt und dazu auch die Biodiversitätsfinanzierung auf mindestens zwei Milliarden Euro pro Jahr erhöht. Diese Investition zahlt sich aus, denn weltweit ist eine Wirtschaftsleistung von rund 44 Billionen US-Dollar – mehr als die Hälfte des globalen Bruttoinlandsproduktes – abhängig von der Natur und ihrer Leistungen.
Die Neuausrichtung der Landwirtschaftspolitik in Deutschland braucht jetzt Tempo. Unsere Landwirtschaft muss den Landwirt*innen ein gutes Auskommen sichern, gesunde, fair erzeugte Lebensmittel bereitstellen und Wasser, Böden und Klima sowie Artenvielfalt besser schützen. Ebenso sollte die kommende Bundesregierung Schluss machen mit der eindimensionalen Waldpolitik und dem Wald eine Zukunft geben mit einer echten "Waldstrategie 2050". Und für Deutschlands Naturschutz muss endlich gelten: Schutzgebiete an Land und in den Meeren sind Schutzgebiete in der Praxis, nicht auf dem Papier.
Auch international stehen wichtige Themen auf der Agenda, für die Deutschlands starker und konstruktiver Beitrag benötigt wird - allen voran bei der Weltklimakonferenz Anfang November in Glasgow und bei den Verhandlungen für das neue globale Abkommen für die Biodiversität, welches Mitte 2022 verabschiedet werden soll. Dazu kommt Europa: Deutschland muss sich hier konstruktiv in die Debatten zum Fit for 55-Paket einbringen. Es darf kein "German vote" bei der Umsetzung des Green Deal mehr geben.
Der Aufbruch in eine lebenswerte Zukunft und ein modernes Deutschland für künftige Generationen gelingt nur mit einer entschlossenen Umwelt- und Klimapolitik. Wir, die Jugend, werden dies von der neuen Bundesregierung immer wieder einfordern - im Interesse unserer Zuklunft und der unserer nachfolgenden Generationen.
Foto © Jörg Farys / WWF