
Müllproblem in Tunesien
Nabeul, Tunesien
Nachdenklich schlendere ich durch die Straßen. Vorbei an leeren Joghurtbechern und Plastikflaschen, vorbei an Verpackungen von Chips und Keksen. Blaue Tüten „schmücken“ die kahlen Büsche; einige Andere fliegen durch die Luft und verfangen sich in den Kronen der Palmen.
Es bedrückt mich sehr das Land in diesem Zustand zu sehen. Besonders in den letzten Jahren hat die Menge an herumliegendem Müll zugenommen – und mit ihm zwangsläufig auch die teilweise irreparablen Folgeschäden.
Tunesien ist laut dem WWF, bezogen auf die Einwohnerzahl, der viertgrößte Verursacher von Plastikmüll der Mittelmeeranrainer. Ganze 11% der in Tunesien anfallenden Abfälle bestehen aus Plastik, etwa 10% aus Papier oder Karton und über 2/3 sind organische Abfälle (siehe Grafik).
Das Problem: Das Entwicklungsland hat schwerwiegende Probleme den Abfall zu entsorgen. Müllimporte und Tourismus erschweren diese Situation zusätzlich.
Vor Ort habe ich mir den Weg des Mülls angeschaut:
Anders als in Deutschland wird der Müll nicht getrennt.
Essensreste, Plastikverpackungen, Papier und kleinere Haushaltsgeräte werden allesamt in den Mülleimern der Haushalte entsorgt. Sobald diese voll sind hängt man den Müll in Plastiktüten an Bäume vor das Haus. So können freilaufende Hunde und Katzen diese nicht aufreißen (siehe Foto links). Den Abfall in Mülleimern vor das Haus zu stellen trauen sich die Bewohner nicht – die Tonnen würden geklaut werden.
Der Haushaltsmüll wird täglich von Tagelöhnern abgeholt und auf größeren Deponien gesammelt.
Plastikflaschen, größere Abfälle und Geräte wie zum Beispiel Waschmaschinen und Matratzen hingegen werden zu Containern gebracht, die überall in der Stadt verteilt sind (siehe Foto Mitte). Diese sind jedoch häufig überfüllt, sodass der Müll auch daneben liegt. Mit der Zeit entwickelten sich auch selbstständig Sammelplätze für Müll – häufig auf nicht bebauten Flächen, an Hauswänden, in verlassenen Gärten oder auch in ausgetrockneten Flüssen. (siehe Foto rechts). Auch diese Abfälle dfwerden eingesammelt und zu Mülldeponien gebracht.
Insgesamt können so etwa 80% der Plastikabfälle eingesammelt, 60% zu Deponien gebracht und nur 4% recycelt werden [Q1].
Doch selbst, wenn der Müll zu den Deponien gelangt, kann er dort immer noch großen Schaden anrichten. Viele Mülldeponien sind nämlich nur recht einfach angelegt worden. Ohne Vorbehandlung wird der Abfall in einem großen Loch gelagert. Ist es voll, so wird es zugeschüttet und ein neues ausgehoben [Q2].
Bei starkem Regen können so auch Auffangbecken der Deponien überlaufen. Toxisches Sickerwasser gelangt in Bäche und Flüsse oder versickert im Boden und verunreinigt das Grundwasser. Das stellt eine große Gefahr für die Anwohner, die Tier- und die Pflanzenwelt dar.
Da die Entsorgung auf den Anlagen Geld kostet, verbrennen einige Lastwagenfahrer ihre Ladungen auch auf leeren Flächen daneben. Zudem wird der Müll teilweise auch direkt im Meer entsorgt. Dies ist zwar verboten, wird aber kaum kontrolliert [Q2] oder durch Korruption vertuscht.
Neben den finanziellen Aspekten gibt es aber auch regulatorische Schwierigkeiten.
2014 wurde in der neuen tunesischen Verfassung beschlossen, das Land zu „dezentralisieren“. Dadurch sollten die Kommunen selbständiger und die Politik für die Bürger:innen zugänglicher und transparenter werden [Q3]. So zählte nun auch die Entsorgung des Mülls zu den Aufgaben der Gemeinden. Die „Agence Nationale de Gestion des Déchets (ANGED)“, die bereits 1997 ein System zur Sammlung und Verwertung von Verpackungsabfall einführte, ist auf kommunaler Ebene jedoch nur sehr schwach vertreten. Ungeachtet dessen ist diese weiterhin verantwortlich.
Trotz mehrerer Versprechen hat die Regierung noch keine angemessenen Maßnahmen ergriffen, um dem Abfallproblem „Herr zu werden“. Zwar besteht seit dem 1. Januar 2021 ein Verbot für den Import, die Produktion und die Verteilung von Plastiktüten (wurde schrittweise eingeführt-siehe Q7), jedoch nur für solche mit einer Stärke von mehr als 15 Mikrometern zum einmaligen Gerbrauch.
Dadurch können größere Einkaufsketten wie zum Beispiel „mg“ oder „Monoprix“ weiterhin Plastiktüten verkaufen, bei kleineren Gemüse- oder Obstständen hängen die Tüten packungsweise an Schnüren von der Decke, sodass man die Nahrungsmittel darin verpacken kann. Von einem „Verbot“ ist hier nichts zu spüren.
Klar ist – so kann es nicht weitergehen. Schon jetzt belaufen sich die Folgeschäden durch die riesigen Mengen an Plastikmüll auf ganze 20 Millionen US-Dollar jährlich (!!) in den Bereichen Fischerei, Tourismus und Schiffsfahrt [Q6]. - Und das für ein Land, das ohnehin schon wenig Geld besitzt.
Außerdem darf man nicht außer Acht lassen, dass das Plastikmüllproblem nicht nur „ein Problem Tunesiens ist“. Toxische Flüssigkeiten der Deponien gelangen in den Wasserkreislauf, Plastikmüll verteilt sich im Ozean, schädigt die dortige Tier- und Pflanzenwelt und hat negative Auswirkungen auf maritime Ökosysteme. Doch auch für Menschen werden die wachsenden Mengen an Plastik zum Problem. Wer mehr darüber erfahren möchte, findet hier mehr zu dem Thema: https://www.wwf.de/themen-projekte/plastik/unsere-ozeane-versinken-im-plastikmuell.
Auf der Suche nach Lösungen wurden inzwischen schon mehrere Projekte ins Leben gerufen, wie zum Beispiel von der Heinrich-Böll-Stiftung in Tunis (Q4) oder von Fraunhofer (Q5).
Darüber hinaus wird berichtet, dass das Potenzial der organischen Abfälle enorm sei. Man könne es vor allem zur Energieerzeugung nutzen. Diese könnte sich unter anderem die tunesische Zementindustrie zu Nutze machen. [Q1]. Das würde dazu beitragen, das Land wirtschaftlich zu stabilisieren, sodass fachgerechte Müllentsorgung nicht am Geldmangel scheitert.
Meiner Meinung nach bräuchten die Kommunen in Tunesien klare, konkrete Richtlinien. Wer soll sich wann um den Müll kümmern? Wohin soll er gebracht werden? Wie soll das finanziert werden?
Zudem sind regelmäßige Kontrollen notwendig und Maßnahmen zur Vermeidung von Korruption.
Kennt auch ihr Orte mit viel Plastikmüll? Wenn ja, dann schickt mir bitte ein Foto (und gerne auch weitere Informationen dazu) an "[email protected]". Aus den Fotos würde ich dann eine Collage erstellen. Je mehr Bilder wir sammeln, desto eindrucksvoller wird diese. So schaffen wir es, mehr Aufmerksamkeit auf das Abfallproblem zu lenken.
Quellen:
o Q1: https://www.gtai.de/gtai-de/trade/branchen/branchenbericht/tunesien/tunesien-recycelt-kaum-275298
https://www.wwf.de/2019/juni/muellkrise-am-mittelmeer
o Q2: https://www.cicero.de/aussenpolitik/demokratie-aus-glas-und-orangenschalen/59965
o Q3: https://www.giz.de/de/weltweit/73233.html
o Q4: https://www.boell.de/de/2018/12/06/abfall-im-licht-der-kunst-das-lichtkunstfestival-interference-tunis
https://www.boell.de/de/2018/12/05/tunesien-gemeinsam-gegen-muell
o Q5: https://www.umsicht-suro.fraunhofer.de/de/presse/pressemitteilungen/2019/Projekt-Tunesien.html
o Q6: https://www.giz.de/de/downloads/giz2020-de-neue-maerkte-neue-chancen-tunesien.pdf
o Q7: https://www.tunesienexplorer.de/2020/01/28/ausweitung-der-massnahmen-zur-vermeidung-von-plastiktueten-in-tunesien-zum-1-maerz-2020/
Eine Story von: Leila
Leila schreibt ehrenamtlich für die WWF Jugend Community. Schreibt uns eure Gedanken zum Thema in die Kommentare!