
Geisternetze in den Weltmeeren
Im Zuge einer schulischen Ausarbeitung habe ich mich die letzten Monate vertieft mit dem Thema der euch bestimmt bekannten „Geisternetze“ auseinandergesetzt. Auf welche erschreckenden Ergebnisse, aber auch zukunftsorientierte Lösungswege ich dabei gestoßen bin, werde ich in diesem Bericht für euch Revue passieren lassen.
Zu Beginn ist erst einmal festzuhalten, dass keiner so wirklich weiß, wie viele dieser herrenlosen Fischernetze eigentlich in den Weltmeeren zu finden sind. Ausgehend von der Menge an Fischereigerät, das durch die globale Fischerei auf und leider auch in den Ozean gelangt, muss sich wohl allerdings eine erdenklich große Anzahl an Geisternetzen im Meer angesammelt haben. Was wir wissen ist, dass es Geisternetze gibt und diese nachweislich das aquatische Ökosystem gefährden. Angesichts dieser Erkenntnis erscheint deren eigentliche Anzahl eher nebensächlich.

Früher wurden Fischernetze aus vergänglichem Material wie etwa Jute, Baumwolle oder Leinen hergestellt. Doch seit etwa 60 Jahren ist dies nicht mehr der Fall: Die Netze bestehen aus allzeit beständigem Polyethylen, Polypropylen oder Polyamid. Und genau hier liegt das grundlegende Problem: Jedes einzelne abhandengekommene Fischernetz stellt eine langfristige Gefahr für die im Meer beheimateten Lebewesen dar. Wissenschaftlich dokumentiert wurden derzeit 344 verschiedene Tierarten[1], die durch Geisternetze in irgendeiner Weise betroffen sind. Im Allgemeinen ist allerdings wohl von vielen mehr auszugehen. Diese Tiere verhaken sich oftmals in den Netzen und können sich schließlich nicht mehr aus ihnen befreien. Meeressäuger ersticken schließlich, da ihnen der Sauerstoff zum Atmen ausgeht, festgehakt im Netz wird die Meeresoberfläche für sie unerreichbar. Viele Tiere verhungern oder erliegen gravierenden Folgeschäden, wie starken Wunden oder gar Amputationen der Gliedmaßen. Geisternetze beeinflussen die Sterblichkeitsrate einiger mariner Lebewesen, wie Robben, zahlreicher Seevogelarten, Fischen, Meeresschildkröten und Meeressäugetieren nachweislich.
Noch dazu muss man sich ja vor Augen vergegenwärtigen, dass sich die herrenlosen Fischernetze nach einer gewissen Zeit auch langsam zu Mikroplastikfasern zersetzen. Diese werden leider häufig, wenn auch unbewusst, von den Meereslebewesen aufgenommen und verursachen entsprechende negative Folgen, die ungeachtet der momentan noch schwebenden Unklarheit auf Seiten der Wissenschaft wohl kaum von der Hand zuweisen sind. Auch Netzteile, die die Dimension des Mikroplastiks überschreiten, gelangen auf diese Weise in den Verdauungstrakt der Tiere. Da der Kunststoff aber bekanntlich unverdaulich ist, verhungern die betroffenen Meeresbewuhner letztlich mit einem plastikgefüllten Magen. Zu allem Überfluss befinden sich in dem Kunststoff noch giftige Stoffe, welche den Organismus der Tiere auf eine unweigerlich gesundheitsgefährdende Weise schädigen dürfen.

Ein sehr interessantes Beispiel, um die Problematik einmal greifbarer darzustellen, ergibt sich bei einem näheren Blick auf die Basstölpel auf Helgoland oder der Insel Grassholm im englischen Bristol-Kanal. Der Vogel nutzt heute nämlich, anstatt üblicher Algen, Netzteile zum Bauen seiner Nester, und damit ist er unter den Brutvögeln leider nicht einmal der Einzige. Untersuchungen der Nester dieser Tiere offenbarten nun, dass im Jahr 2015 99% der 345 analysierten Nester auf Helgoland Kunstsoff beinhalteten.[2] Auf Grassholm kam man in einer Studie, die im Jahr 2010 abgeschlossen wurde auf das erschreckende Ergebnis, dass ein durchschnittliches Basstölpelnest aus 470 g (!) Plastik besteht. Hochgerechnet auf die 40.000 Basstölpelpaare umfassende Kolonie befinden sich demnach insgesamt unglaubliche 18,46 Tonnen Kunststoff in den Nestern.[3] Gerade in der Ostseeregion handelt es sich bei diesem Kunststoff häufig um sogenannte „Dolly-Ropes“. Das sind farbige, in der Grundschleppnetzfischerei eingesetzte Polyethylenseile, die an der Unterseite der Schleppnetze zu deren Schutz angebracht werden. Zum Problem werden diese Dolly-Ropes deswegen, weil sie sehr schnell ausfransen und schließlich ins Meer diffundieren.
Am Beispiel der kleinen Dolly-Ropes zeigt sich also ganz klar: Jedes Netzteil, egal welche Größe es hat, trägt zur Gefährdung mariner Lebewesen bei, und auch die Schadwirkung kleiner Teile kann erheblich groß sein.
Im Endeffekt handelt der Mensch, wie leider so oft, mit wenig Weitsicht. Denn letztlich ist auch er indirekt von der Problematik betroffen: Entweder sterben die Tiere ohne jeglichen Nutzen und können folglich auch nicht seiner Nahrungsversorgung dienen; oder das Mikroplastik und damit auch die darin enthaltenen Toxine gelangen in die Nahrungskette, an deren Ende bekanntlich der Mensch steht.
In letzter Konsequenz kann nur eine Eindämmung der Problematik ein Ergebnis herbeiführen, dass die Interessen aller im bestmöglichen Sinne in Einklang bringt. In der Absicht, einen effektiven Lösungsbeitrag zu leisten, hat der WWF Deutschland in den letzten vier Jahren eine vielversprechende Methode zum Finden, Bergen und Wiederverwerten der herrenlosen Fischernetze entwickelt. Ein Seitensichtsonargerät, das in der Breite eine Fläche von etwa 100 Metern gleichzeitig abdecken kann, ermöglicht ein schnelles Aufspüren der Geisternetze. Auf diese Weise können die fraglichen Standorte notiert werden. Im weiteren Verlauf bedient man sich nun der modernen Technik: In die „WWF Geistertaucher-App“ werden all diese durch das Sonargerät erfassten Standorte eingetragen, die dann durch Sporttaucher verifiziert werden können. Gleichzeitig ist es Fischern, Tauchern, Seglern und Wassersportlern möglich, entdeckte Geisternetze direkt und unkompliziert zu melden. Die Bergung der Netze erfolgt dann durch ausgebildete Forschungstaucher.
An dieser Stelle liegt es nun in der Hand der einzelnen Länder, Gelder für solche Bergungssysteme bereitzustellen. In der Europäischen Union werden zur Zeit im Sinne der „Meeresstrategie Rahmenrichtlinien“, welche einen guten Zustand der Meeresumwelt anstrebt, immer mehr Gesetze und Verordnungen erlassen, um finanzielle Mittel zum Lösen der Problematik freizugeben. In Deutschland hat das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise bereits einen Soforthilfefonds in Höhe von 100.000 Euro eingerichtet, der es ermöglicht, die Netze zunächst für ein Jahr gemeinsam mit ortskundigen Fischern die Netze zu bergen.
Darüber hinaus beinhaltet das Konzept des WWF Deutschland eine Methode für den weiteren Umgang mit den geborgenen Netzen. Ausgangspunkt ist hier das Wissen um die besondere Schwierigkeit, solch ein geborgenes Geisternetz wiederzuverwerten. Wie in der Abbildung unten gut zu erkennen ist, mischen sich nämlich verschiedenste Materialien zu einem großen Knäuel zusammen. Eigentlich würde so ein Netz auf der Sondermülldeponie landen. Das wäre jedoch hinsichtlich des Grundgedankens, das aufwendig aus dem Meer entferne Netz nun auch verwerten zu wollen, wenig effektiv. Seinem selbst gesteckten Anspruch folgend, ist es dem WWF gelungen, einen sinnvollen Weg zur nachhaltigen Entsorgung der Geisternetze zu finden: Ein Entsorgungshof in Schleswig-Holstein hat sich bereiterklärt, sich dieser kleinteiligen Aufgabe anzunehmen: In Handarbeit wird dort zunächst das wiederverwendbare Blei aus den mit PET ummantelten Bleileinen der Stellnetze entfernt. Anschließend können der verbliebene Kunststoff und das noch verfangene organische Material – beispielsweise Sand und Algen sowie Tierkadaver – im Verbrennungsprozess der Energiegewinnung zugeführt werden. So lässt sich zwar das Problem der einmal entstandenen Geisternetze nicht ungeschehen machen, aber doch der Schaden wenigstens im Nachhinein gewissermaßen begrenzen und Ressourcen / Materialien einem neuen Verwertungskreislauf zuführen.

In der Auseinandersetzung mit diesem Thema habe ich viele wichtige Erkenntnisse gewonnen, die ich hier abschließend noch einmal wie folgt festhalten möchte: Generell gilt es, die Entstehung von Geisternetze präventiv zu verhindern. Jedoch kommt es trotz aller Bemühungen in der Fischerei immer auch zum Verlust manchen Gerätes. Lediglich der bewusste Umgang mit dieser Problematik und ein Hand in Hand gehendes Zusammenspiel zwischen dem Verursachen, Finden, Bergen und korrekten Entsorgen der Netze kann zum langfristigen Erfolg führen. Nur so lässt sich Tierleid vermeiden und damit nicht zuletzt das Leben unzähliger Tiere retten, sowie auch das des Menschen schützen.
[1] Vgl. BERGMANN, Melanie/ GUTOW, Lars/ KLAGES, Michael (Hrsg.) (2015); Marine Anthropogenic Litter. Springer Link. S.102.
[2] Vgl. WERNER, Stefanie (2016): Harm to biota. In: Werner, Steffanie/ Budziak, Ania/ Van Franeker, Jan und Weitere (Hrsg.): Harm caused by Marine Litter. MSFD GES TH Marine Litter – Thematic Report. Europäische Kommission, 9 - 36. S. 15.
[3] Vgl. WERNER, Stefanie (2016): Harm to biota. In: Werner, Steffanie/ Budziak, Ania/ Van Franeker, Jan und Weitere (Hrsg.): Harm caused by Marine Litter. MSFD GES TH Marine Litter – Thematic Report. Europäische Kommission, 9 - 36. S. 15.
Titelbild: © Britta Koenig / WWF
Eine Story von: Stella
Stella schreibt ehrenamtlich für die WWF Jugend Community.
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