
Nachhaltige Stadtteile? Freiburg-Vauban macht’s vor
Heute leben über Dreiviertel der Weltbevölkerung in Städten. So viele Menschen gut unterzubringen und gleichzeitig die Ressourcen und die Natur zu schonen, ist eine große Herausforderung für Architekt:innen und Stadtplaner:innen. Aber es ist möglich! Wie, das könnt ihr in dieser Story erfahren.

Freiburg-Vauban
Weltweit gibt es bereits verschiedene „Öko-Stadtviertel“, bei deren Planung und Bau besonderen Wert auf Nachhaltigkeit und einen bewussten Umgang mit der Natur und natürlichen Ressourcen gelegt wurde. Das erste Quartier dieser Art war der Stadtteil Vauban in Freiburg. Heute ist es deutschlandweit und international bekannt und wird gerne als Beispiel für ökologisches Bauen angeführt.
1996 zogen die ersten Bewohner:innen ein, um neue Wohnformen auszuprobieren: In Häuser, die weniger Energie und weniger Wasser verbrauchen, über Solaranlagen zur Stromproduktion verfügen, in einem Stadtteil mit vielen Radwegen, überwiegend autofreien Straßen und bewusst gestalteten Gemeinschaftsflächen. Wurde neu gebaut, haben sich die Familien meist zu sogenannten Baugruppen zusammengeschlossen und gemeinsam ihre Ideen verwirklicht. Entstanden sind so Mehrfamilienhäuser, die gut in den Stadtteil passen und doch alle anders aussehen. Den Baugruppen sind auch das auto-/stellplatzfreie Verkehrskonzept zu verdanken und der hohe Anspruch an den Energiestandard der Häuser – von Beginn an wurde viel Wert auf Bürgerbeteiligung gelegt. Auch genossenschaftliches Wohnen wurde an mehreren Stellen verwirklicht, einige Baugruppen legten ihren Fokus auf Mehrgenerationen-Wohnen oder Inklusion, das Studentenwerk baute Wohnheime für Studierende. Alternative Lebens- und Wohnformen fanden so von Anfang an ihren Platz.
Heute leben ca. 5.500 Menschen im Vauban, darunter viele Kinder. Das Durchschnittsalter liegt bei etwa 33 Jahren.
Gebaut wurde der Stadtteil auf einem ehemaligen Kasernengelände des französischen Militärs. 1998 wurden einige Kasernengebäude abgerissen, andere blieben erhalten und wurden saniert. „Haus-Recycling“, wie es z.B. auf „Haus 037“, dem Stadtteilzentrum, heißt. Hier sind ein Kindergarten, ein Restaurant, die Quartiersarbeit, zwei Säle für Veranstaltungen und Büroräume für viele Vereine aus dem Vauban untergebracht.

Das Konzept war und ist attraktiv, Vauban ist ein beliebter Stadtteil. Viele Bewohner:innen schätzen die hohe Lebensqualität – gerade durch das besondere Konzept. Allerdings hat das auch seinen Preis – die Mieten sind oft höher als in anderen Stadtteilen, die soziale Durchmischung eher gering.
Der Stadtteil Vauban grenzt unmittelbar an einen naturgeschützten Bachlauf mit altem Baumbestand - ein Biotop für eine Vielzahl seltener Tiere und Naherholungsraum für die Bewohner:innen des Quartiers.

Mobilität: Ein Stadtteil der kurzen Wege und autofreien Straßen
Kein Wunder, dass im Vauban so viele Kinder und Familien wohnen: Hier gibt es viel Platz zum Spielen, denn Autos spielen nicht die erste Rolle. Die meisten Straßen sind autofreie Spielstraßen, die nur zum Be- und Entladen befahren werden, auch Stellplätze für Autos gibt es dort nicht. Die meiste Zeit des Tages bieten sie Platz zum Tischtennis spielen (ja, im Vauban stellt man seine Platte einfach auf die Straße), Skateboard und Einrad fahren, zum Bemalen der Straße mit Kreide, zum Rennen und Toben. Zusammen mit den Grünspangen und dem Häuserkonzept macht dies das besondere Flair im Vauban aus.
Und das Verkehrs- und Wohnkonzept ist bis heute so ungewöhnlich, dass mehrmals wöchentlich Besucher- und Schülergruppen aus Italien, Frankreich, Japan usw. durch den Stadtteil geführt werden.
Das Verkehrskonzept sieht bei einem Großteil der Häuser stellplatz- und autofreies Wohnen vor, nur in einzelnen Straßen gibt es Stellplätze und geringen Autoverkehr. Möchten Bewohner:innen mit dem eigenen Auto mobil sein, nutzen sie eines der zwei Parkhäuser am Rand des Stadtteils und mieten oder kaufen dort einen Stellplatz. Doch über 40% der Haushalte haben kein Auto. Während in Deutschland 520 KFZ auf 1000 Einwohner kommen (Stand 2017), sind es in Freiburg 495 KFZ und im Vauban sogar nur 191 KFZ pro 1000 Einwohner:innen.
Stattdessen gibt es viel Platz für Fahrräder und Fußgänger:innen, zentrale Wege sind für den Autoverkehr gesperrt.
Überhaupt spielen Fahrräder eine wichtige Rolle im Alltag: Weihnachtsbaum, Großeinkauf, Getränkekisten, Latten vom Baumarkt? Das und noch viel mehr wird im Vauban einfach aufs Fahrrad gepackt.
Wer gelegentlich ein Auto braucht, kann auf eines der rund 45 Carsharing-Autos zurückgreifen, die über den Stadtteil verteilt stehen, viele davon E-Autos. Über 400 Menschen machen davon Gebrauch.

Im Stadtteil gibt es eine Grundschule (weiterführende Schulen in fußläufiger Entfernung), ein Jugendzentrum, Kindergärten, einen Quartiersladen, zwei Bäckereien, einen Bioladen, eine Drogerie, einen Supermarkt, eine Apotheke, ein Fahrradgeschäft, ein Computer-Geschäft mit Reparatur-Service, Gastronomie, einen Buchladen, ein Stoffgeschäft, zwei Second-Hand-Läden für Bekleidung und Spiele, eine Eisdiele, ein Blumengeschäft, eine Schreinerei, sowie Kinder-, Allgemein- und einige Fachärzte. Jede Woche findet auf dem zentralen Marktplatz ein Wochenmarkt mit Betrieben aus der Region statt.
Diese gute Infrastruktur trägt dazu bei, dass die Bewohner:innen ihre alltäglichen Wege zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurücklegen können und die Grundversorgung im Stadtteil bleibt.
Für alles Weitere gibt es eine gute ÖPNV-Anbindung an die Innenstadt und andere Stadtteile – die Straßenbahn führt auf einem Grünstreifen mitten durchs Vauban (wobei sie gelegentlich ausgebüxte Hühner verscheuchen muss) und fährt alle paar Minuten in die Stadt.

Wohnen unter Solardächern
In Vauban gibt es die größte Dichte an Passivhäusern. Auf den meisten davon finden sich Photovoltaik-Anlagen, die Dächer sind oft begrünt, an vielen Häusern finden sich Holzelemente, einige sind ganz aus Holz gebaut. Die meisten Baugruppen legten viel Wert auf baubiologische Materialien.
Zum niedrigen Energieverbrauch tragen die durchdachte Konstruktion und Ausrichtung der Häuser bei: Große, nach Süden ausgerichtete, gedämmte Glasfassaden bringen Licht in die Wohnungen. Im Winter werden die Innenräume durch die niedrig stehende Sonne gewärmt, im Sommer sorgen klug ausgerichtete Balkone und Fassadenelemente für Verschattung der nun höher stehenden Sonne.
Die Wärmeversorgung erfolgt über ein Nahwärmesystem (Blockheizkraftwerk) im Stadtteil, das u.a. Holzhackschnitzel verwendet.
Ab 2000 wurden die ersten Plusenergiehäuser im Vauban errichtet. Diese produzieren mehr Energie, als die Bewohner:innen benötigen. Der Überschuss wird in das Stromnetz eingespeist. Besonders bekannt ist die Solarsiedlung am Schlierberg und das Sonnenschiff, das erste Dienstleistungsgebäude (Einkaufen, Büros, Wohnen) der Welt, das mehr Energie erzeugt, als es verbraucht. Auf dem Dach finden sich Penthäuser, gleichzeitig dient das Gebäude als Schallschutz für die dahinter liegenden Häuser der Solarsiedlung – erstmalig wurde eine zusammenhängende Siedlung aus Plusenergiehäusern umgesetzt, was weltweite Aufmerksamkeit erregte. Dort steht auch das Heliotrop, das erste Plusenergiehaus weltweit. Die Siedlung hat bereits mehrere internationale Preise erhalten, u.a. den „Europäische Solarpreis".

Hochbeete statt Parkhaus
Inspiriert von der Transition Town-Bewegung wurde 2013 der WandelGarten gegründet, ein Projekt des urbanen, gemeinschaftlichen Gärtnerns. Als Fläche wird ein Teil des Geländes des Autofrei-Vereins genutzt (die Stadtverwaltung wollte dort ein Parkhaus errichten) – Hochbeete statt Parkhaus, was für eine tolle Alternative.
Der Wandelgarten legt viel Wert auf biologischen Anbau, experimentiert mit Wurmfarmen, Kompost, Hoch- und Hügelbeeten und integriert die Permakultur. Ganz ohne Zäune entstand so ein lebendiger, blühender und artenreicher Garten, der nicht nur Salat, Gemüse und Obst ein Zuhause bietet, sondern auch viele Insekten und Kleintiere anlockt.

Seit einigen Jahren gibt es am Dorfbach einen weiteren Gemeinschaftsgarten des zusammenleben e.V., der seinen Schwerpunkt auf Inklusion und die Integration von Menschen mit Fluchterfahrung legt. Hier gibt es die Möglichkeit, sich für einen Teil der Beete zu bewerben und sie zu bewirtschaften. Auf einem anderen Teil findet gemeinschaftlicher Anbau statt, u.a. in Form eines Projekts zur Tagesstruktur für junge Menschen mit Behinderung. Regelmäßig gibt es Aktionstage, an denen gemeinsam die Wege und Gemeinschaftsflächen gepflegt werden, der Zusammenhalt gestärkt und alle aus dem Quartier zum Gärtnern eingeladen sind.

Grünanlagen und Entwässerung
Über den Stadtteil verteilt finden sich mehrere Grünspangen mit einer Gesamtfläche von 15 ha (Vauban hat eine Gesamtfläche von ca. 41 ha). Sie verlaufen in Nord-Süd-Richtung und dienen auch der Frischluftzufuhr und Kühlung des Stadtteils. Auf den Grünspangen befinden sich Spielplätze und Bewegungsangebote für Groß und Klein, ein selbstverwaltetes Backhaus und Sitzplätze.
Auch bei der Regenentwässerung wurden neue Wege beschritten: Erstmals wurde hier ein Gesamtkonzept der Oberflächenentwässerung umgesetzt, das Elemente der naturnahen Regenwasserbewirtschaftung enthält. Es wurden Versickerungsgräben angelegt, die den Regen von den Straßen und Hausdächern aufnehmen und in den nahegelegenen Bach leiten, statt ihn in die Kanalisation zu leiten.
Gleichzeitig wurde der Abfluss reduziert: Gründächer auf den Häusern, durchlässige Flächen, Grünflächen, Bäume.
Das Konzept wurde wissenschaftlich untersucht: Die dezentrale Maßnahmen, zusammen mit dem System aus Versickerungsgräben, reduzierten den Abfluss um 66 % – 87 %.
Auch für die Artenvielfalt spielen die Versickerungsgräben eine wichtige Rolle. Sie sind mit Wildblumen und Kräutern artenreich gestaltet, die Bewirtschaftung ist an den Blühzyklus der Pflanzen angepasst. So ist ein wertvoller Lebensraum für Insekten entstanden und die zusätzlichen, bunt blühenden Grünflächen tragen zur Aufenthaltsqualität bei.

Fazit
Viele Städte und Stadtteile sind noch weit von einer nachhaltigen Stadtentwicklung entfernt. Doch es gibt immer mehr Ansätze, bei Neubauten, Sanierungen und Umgestaltungen ressourcenschonende Ansätze zu verwirklichen und andere Wege bei Mobilitäts- und Wohnkonzepten zu beschreiten. Große Veränderungen brauchen natürlich Zeit – aber jedes Viertel, jede Nachbarschaft, in dem auf nachhaltige Aspekte gesetzt wird, wird uns langfristig in die Stadt der Zukunft führen – eine Stadt für alle, mit viel Lebensqualität und einem bewussten Umgang mit Ressourcen.
Vauban zeigt, dass es auch anders geht: Autofrei bzw. autoarm, mit viel Platz zum Spielen, sich begegnen und für Fahrräder, mit nachhaltigen Bauweisen und einem Überschuss an Energie. Es ist ruhig, hat viel Grün und gleichzeitig trotzdem urban.
Zur Nachahmung empfohlen!

Quellenangaben:
- Yann Arthus-Bertrand: „Wie geht’s dir Welt und was ist morgen?“, Verlag Gabriel (2015); Seite 87/88
- BZ Ticket: „Sonnenschiff und Solarsiedlung“, unter https://bz-ticket.de/sonnenschiff-und-solarsiedlung-freiburg (letzter Zugriff am 27.7.2024)
- Wikipedia: „Vauban (Freiburg im Breisgau)“, unter https://de.wikipedia.org/wiki/Vauban_(Freiburg_im_Breisgau) (letzter Zugriff am 29.7.2024)
- „Wie funktioniert ein Plusenergiehaus“, unter https://www.plus-energie-haus.de/2016/03/31/wie-funktioniert-ein-plusenergiehaus/ (letzter Zugriff am 29.7.2024)
- Stadtteilverein Vauban e.V.: „Geförderte Projekte – Wandelgarten Vauban“, unter http://www.vauban-vernetzt.de/gefoerderte -projekte/ (letzter Zugriff am 27.7.2024)
- Stadt Freiburg: „Quartier Vauban – Nachhaltiges Wohnen für 5.300 Menschen“, unter https://www.freiburg.de/pb/,Lde/208736.html (letzter Zugriff am 30.7.2024)
- „WandelGarten Freiburg Vauban – Ideen pflanzen am Weidenpalast“, unter https://www.urbanes-gaertnern-freiburg.de/de/organisations/wandelgarten-freiburg-vauban (letzter Zugriff am 30.7.2024)
- Verein für autofreies Wohnen e.V. Freiburg: „Autofreies Quartier Freiburg“, unter https://autofreies-quartier-freiburg.de/ (letzter Zugriff am 30.7.2024)
- Stadtteilzentrum Vauban 037 e.V.: „Vauban in Zahlen“, unter https://stadtteil-vauban.de/vauban-in-zahlen/ (letzter Zugriff am 31.7.2024)
- Titelbild: Wikimedia Commons, unter https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Pippi_Langstrumpf_mit_einer_Liedzeile_auf_einer_Fassade_in_Freiburg-Vauban.jpg?uselang=de (Zugriff am 31.7.2024)

Eine Story von: Stephanie
Stephanie schreibt ehrenamtlich für die WWF Jugend Community. Sie ist im Redaktions- und Aktionsteam. Auch du kannst hier mitmachen - melde dich gerne bei uns.