
Fantastischer Fakt: Ein Pilz mit Superkräften
Kleidung will man sich heutzutage nicht mehr ohne Farben vorstellen. Auch in anderen Alltagsgegenständen ist der farbenfrohe Charakter nicht wegzudenken.
Dabei ist die bunte Textilien-Welt noch gar nicht alt. Lange Zeit war es sehr aufwendig und teuer, färbte man doch mit mühsam gewonnenen Naturfarbstoffen pflanzlichen oder tierischen Ursprungs. Und das Ergebnis warf nur sehr viel matteres Bild ab, als es das zeitgenössische Auge gewöhnt wäre. Der Erfolgsweg der Textilfärbung wurde schließlich mit synthetischen, also künstlich im Labor hergestellten Farbstoffen beschritten. Diese ließen sich – im Gegensatz zu den Naturfarbstoffen wie das aufwendig extrahierte Sekret der Purpurschnecke – günstig und in hoher Menge herstellen. Industrieller Vorreiter war zunächst die Badische Anilin- und Sodafabrik (BASF), viele weitere folgten. Die Industrie erzeugte verschiedenste Farbstoffe, die das komplette Spektrum an Farben abdecken konnten. Chemisch gesehen lassen sich die Farbstoffe verschiedenen Verbindungsklassen zuordnen. Unter Verbindungsklasse fasst man Moleküle (=chemische Teilchen) zusammen, denen ein bestimmtes Strukturelement gemeinsam ist. Wichtig zu nennen sind hier die Azofarbstoffe. Deren spezielles Strukturelement, die Azogruppe, kommt in der Natur selten vor, wenn überhaupt werden sie im Stoffwechsel bestimmter Mikroorganismen gebildet. Die Fülle an Azofarbstoffen kann jedoch nur im Labor durch bestimmte Syntheseschritte hergestellt werden.
Was für die Textilindustrie zum großen Segen wurde, ist für die Umwelt zum Problem geworden. Heutzutage hat die Farbenpracht extreme Ausmaße angenommen. Nahezu alles ist bunt. Der von Umweltorganisationen oft verteufelte Fast Fashion Trend fordert immer schneller immer neue Färbungen. Fatal. Denn leider können die synthetisch modifizierten Farbstoffe in der Natur nicht abgebaut werden. Und gerade in den Ländern, die in der Modeproduktion führend sind, ist das Abwassersystem oft so schlecht, dass das mit Chemikalien verseuchte Dreckwasser, das bei der Produktion anfällt, meist ungefiltert in Flüsse eingeleitet wird und sich somit auch in Boden und Grundwasser anreichert. Nicht nur für die Umwelt, sondern auch für die lokale Bevölkerung hat das katastrophale Folgen. Die in hoher Konzentration zum Teil krebserregenden oder anders toxischen Farbstoffe beeinträchtigen Fauna und Flora der betroffenen Flüsse stark. Und trotzdem wird das Wasser der Flüsse, die im spirituellen Volksbrauch eine zentrale Rolle spielen, häufig ungeklärt zum Baden und Waschen genutzt, oder gar als Trinkwasser. Nicht selten fehlt das Geld, um die einheimische Bevölkerung oder gar die Umwelt vor der allgegenwärtigen Gefahr zu schützen.
Die Vision einer kleinen Forschergruppe an einer britischen Uni war es, einen Ausweg aus diesem Desaster zu schaffen. Mit einem winzigen Organismus als Helfer hatten sie den rettenden Einfall. Die Forschungsarbeit erschien vor einigen Jahren in der Zeitschrift FEMS Microbiology Letters und beschäftigt sich mit der Frage, wie sich Azofarbstoffe doch abbauen lassen. Bei Untersuchungen des in Europa natürlich vorkommenden Pilzes Phlebia tremellosa wurde etwas Erstaunliches festgestellt. Er ist tatsächlich in der Lage, Azofarbstoffe abzubauen.
© GettyImages, Der Pilz Phlebia tremellosa kommt natürlicherweise in Europa vor und ist mit etwas Artenkenntnis im Freiland auffindbar. Hier besiedelt er einen verwitterten Baumstamm.
Herangezogen wurden acht gängige Chemikalien, darunter Remazol Black B, die zu Färbezwecken verwendet werden. Unter Laborbedingungen gedieh der Pilz auf einem mit dem jeweiligen Farbstoff angereicherten Nährboden. Wie photometrische Methoden zeigten, konnten im Beispiel von Remazol Black B innerhalb von nur 14 Tagen bis zu 96 Prozent der Ausgangsmenge abgebaut werden. Allerdings stellte sich heraus, dass der Pilz den Farbstoff nicht vollständig abbaute, sondern lediglich in einen farblosen Stoff metabolisierte. Dennoch war man sich darüber einig, dass Phlebia tremellosa gerade im Hinblick auf die Entfärbung von synthetischen Farbstoffen im Abwasser sehr gut eingesetzt werden könnte. Mithilfe biochemischer Arbeitstechniken konnte man sogar das Enzym - also das chemische Werkzeug - ermitteln, welches entscheidend am Abbau dieser Farbstoffe beteiligt sein soll. Seither diskutierte man rege über eine mögliche Anwendung in der Bioremediation. Nach Überzeugung der Forscherinnen und Forscher könnte ihr Projekt nämlich wesentlich zur biologischen Entgiftung von Ökosystemen beitragen. Ein hehres Ziel mit großer Dringlichkeit.
Die Veröffentlichung ist bald ein Vierteljahrhundert alt. Aber wie eine von vielen guten Ideen, wurde sie noch nicht umgesetzt. Ursachen dafür könnten gegenstrebende politische Interessen, fehlende Finanzierung oder nur eine bedingt mögliche Übertragung der Laborsituation in die reale Anwendung sein. Konkrete Gründe liegen allerdings nicht vor. Und die Vermutungen wecken lediglich Unverständnis.
Welche guten Ansätze zur Naturerhaltung oder -rückgewinnung kennt ihr, die beinahe in Vergessenheit geraten sind oder mehr Anerkennung verdienen? Diskutiert Eure Ideen gerne in den Kommentaren!
Quellen.
https://www.vogue.de/mode/artikel/das-groesste-umweltproblem-der-modeindustrie-faerben
https://utopia.de/ratgeber/azofarbstoffe-darum-sind-sie-kritisch/
https://de.wikipedia.org/wiki/Gallertfleischiger_F%C3%A4ltling
N. Kirby, R. Marchant, G. McMullan (2000), Decolourisation of synthetic textile dyes by Phlebia tremellosa, FEMS Microbiology Letters 188 (2000) 93-96
Eine Story von Helen.
Helen schreibt ehrenamtlich für die WWF Jugend Community. Sie ist im Redaktions- und Aktionsteam. Auch du kannst hier mitmachen - melde dich gerne bei uns.