Wälder in Deutschland – Ein Ökosystem vor dem Kollaps?

Published on December 13, 2023

Was kann es Schöneres geben, als nach einem langen, anstrengenden Arbeitstag einen erfrischenden Waldspaziergang zu unternehmen? Zu Fuß oder auf dem Rad in den belebenden, kühlen Wind zu atmen oder einfach die Seele baumeln zu lassen? Kein Wunder, dass viele Menschen den Wald als Naherholungsort vom stressigen Alltag nutzen. Nicht erst seit Corona hat auch der Waldtourismus in den letzten Jahren an Fahrt aufgenommen.

 

Querschnitt durch einen mitteleuropäischen Laubmischwald

© Thomas Stephan WWF. Zu sehen ist ein Querschnitt durch einen mitteleuropäischen Laubmischwald.

 

Viele Menschen fühlen sich bei einem ausgiebigen Spaziergang ungemein erfrischt. Und das kommt nicht von ungefähr. Denn Wälder, die nicht zu Unrecht als die Lungen des Planeten bezeichnet werden, senken die CO2-Konzentration in der Luft maßgeblich. In mehrstufigen Stoffwechselschritten werden aus CO2und Wasser Zucker und Sauerstoff gewonnen (Photosynthese). Ein Wald ist also ein kleines Klima-Kraftwerk. So hat eine einzige, ausgewachsene Buche innerhalb ihres langen Lebens durchschnittlich 3,5 Tonnen CO2 gespeichert.
Während der Wald uns jedoch eine erholsame Auszeit vergönnt, darbt er selbst im Stillen. Längst nicht jeder Wald ist so gesund wie es das Laienauge vermutet.

Tatsächlich war der Wald noch nie in einem so schlechten Zustand wie heutzutage. Von fünf Bäumen, so eine vertrauenswürdige Quelle, seien vier krank. Und auch das kann sich schnell ändern. Denn aktuell ist der Wald im Dauerstress. Große Waldanteile sind nicht nur von intensiver Forstwirtschaft gebeutelt, auch heiße, regenarme Sommermonate, die sich in den letzten Jahren zunehmend in die Länge ziehen, machen ihnen zu schaffen. Die Böden sind staubtrocken, was nicht nur die Waldbrandgefahr stark erhöht, sondern auch das rasche Abtragen von wertvoller Humusschicht erlaubt, sollte dann doch – ganz plötzlich – der Regen einsetzen. Darunter haben neben dem Wurzelwerk auch sämtliche Bodenlebewesen zu leiden, die sich normalerweise im feuchten, kühlen Waldboden nur so tummeln. Die einzigartigen Symbiosen, die sich über Jahrmillionen zwischen Mikroorganismen, Pflanzen und Pilzen entwickelt haben, sind in ihrer Fülle noch nicht einmal erfasst geschweige denn erforscht. Wir wissen also nicht einmal, was da zerstört wird.
Nicht nur die Folgen des Klimawandels machen den Wald angreifbar, auch die seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten praktizierte Etablierung von Monokulturen. Maßnahmen einer Forstwirtschaft, die nicht Nachhaltigkeit zum Zweck hatte. Durch den Anbau von schnellwachsendem Holz – als dankbare Pflanze wählte man die Fichte – erhoffte man sich innerhalb von wenigen Jahrzehnten umfangreiche Erträge. Obwohl der Baum des Nordens beispielsweise in Norwegen ganze Landstriche charakterisiert und dort natürlicherweise in weitläufigen Fichtenwäldern ganz eigene (schützenswerte!) Ökosysteme schafft, ereignete sich in den gemäßigten und vergleichsweise trockenen Klimazonen Mitteleuropas ein ungeheurer Artenverlust in den künstlich angelegten Wäldern. Biodiversität war angesichts des lockenden Holzgewinns schnell aus dem Blickpunkt geraten und erhielt erst, nachdem Borkenkäferepidemien, die ganze Waldstriche zerfraßen, über die Plantagen rollten, seine gebührende Aufmerksamkeit zurück.

Vom Klimawandel und Borkenkäfer geschädigter Wald auf dem Brocken (Nationalpark Harz))

© Alexander Paul Brandes. Das Bild zeigt die Ausmaße des Waldsterbens im Harz. Ganze Landstriche prägt dieses Bild.

 

Heftig diskutiert wird, ob die flächendeckende Anpflanzung von Laubmischwälder wirklich zukunftstauglich ist. Fest steht aber, dass diese Baumarten für unser Klima weitaus besser geeignet sind als die an hohe Niederschlagsmengen angepasste Fichte. Nicht zuletzt ermöglichen die vielfältigen, natürlichen Lebensgemeinschaften eine erhöhte Widerstandsfähigkeit gegen den Borkenkäfer und die Folgen des Klimawandels wie Feuer und Trockenheit.

Ein Waldumbau von Nadelwald hin zu Laubmischwäldern wäre in vielerlei Hinsicht vorteilhaft: In Laubwäldern verdunstet nämlich grundsätzlich weniger Wasser als in reinen Nadelwäldern. Das senkt die Brandgefahr entscheidend, wobei Nadelbäume aufgrund der Artendiversität trotzdem nicht völlig aus den Wäldern verdrängt werden sollten.
In der Forstwirtschaft experimentiert man mancherorts mit hitzestabilen Pflanzen aus anderen Klimazonen, obwohl die Ansätze vielseitig sind und nicht alle Forstämter der im Trend stehenden Anpflanzung der nordwestamerikanischen Douglasie folgen. Die Douglasie ist trockenresistenter als die dominierende Fichte. Trotzdem spielen bei dem ein oder der anderen Entscheidungsträger*in Eingriffe in die heimische Biodiversität nur eine untergeordnete Rolle. Als hätte man nicht schon genug Probleme mit invasiven Pflanzenarten. Doch ist man jetzt wenigstens geläutert, was die Anpflanzungspraxis betrifft? Erschreckenderweise werden die angepriesenen Zukunftsbäume hektarweise kultiviert. Zumindest wird man dann aus Erfahrungswerten schöpfen können, wenn in ein paar Jahrzehnten die Bekämpfung des Douglasienfalters ansteht.
Zugutehalten muss man diesem Wirtschaftszweig, dass Waldwirtschaft langen Atem und viel Voraussicht braucht. Es müssen Entscheidungen getroffen werden, deren Auswirkungen weit in die Zukunft reichen und deren Ergebnis außerhalb jeder Amtsperiode liegt. Eine schwierige Aufgabe, gerade weil ökologische Auswirkungen unter Umständen erst nach ein paar Jahrhunderten in Erscheinung treten. Die großflächige Pflanzung von Douglasien könnte sich in diesem Kontext als überaus fatal herausstellen, denn wie genau der Klimawandel das Wetter Mitteleuropas langfristig tatsächlich verändert, kann bisher noch nicht abgesehen werden. Sollte aber der Golfstrom abbrechen, könnte es nässer werden. Ein Umstand also, der die Douglasie wiederum benachteiligt und diese anfälliger gegen Krankheiten würde. Es hat sich klar herausgestellt, dass der Mensch den Wald nicht umbauen und in seine Normen pressen kann. Es ist inzwischen wissenschaftlich nachgewiesen, dass ein selbstüberlassener Wald am widerstandsfähigsten gegenüber Krisen ist.

Ein abgestorbener Baum bietet Lebensraum für vielerlei Arten

© Thomas Stephan WWF. Hier ist ein mit Pilzen übersäter, morscher Habitatbaum in einem naturbelassenen Wald zu sehen.

 

Selbst reguliert ist er am wenigsten gefährdet gegen Hitze und Trockenheit und bietet mit alten Bäumen wichtige Habitate und Rückzugsorte für Tiere aller Art. Es bräuchte also ein fundamentales Umdenken.

Ideal ist sicherlich die Vorstellung einer geregelten Koexistenz von natürlichen und kommerziell genutzten Wäldern. So könnte das Potential einer biologischen Vielfalt, die die Erhaltung des gesamten Systems maßgeblich beeinflusst, bestmöglich ausgeschöpft werden. Das Konzept basiert auf der Annahme, dass ein intakter Wald über die Entnahme von einzelnen Bäumen hinwegsehen kann und ein radikaler Kahlschlag oder das großflächige Ausbringen von Pestiziden, das die Nahrungsgrundlage von Vögeln und Fledermäusen vernichtet, zur Eindämmung von plötzlich auftretender Insektenmassenvermehrung nicht nötig wäre. Eine punktierte Auflichtung im Wald sorgt darüber hinaus für ein dynamisches Wachstum der Waldflora, ohne dass dabei allzu flächige Lücken entstehen, über welche gerade in den unsäglich heißen Sommermonaten viel zu viel Wasser verdunstet. Denn das Fehlen großer Bäume gibt jüngeren erst die Chance ans Licht zu wachsen. Die Aussaat würde auf natürliche Weise erfolgen oder durch gezieltes Nachpflanzen. Man müsste auch die Art der Holzentnahme diskutieren. Der großflächige Einsatz schwerer Maschinen auf dem empfindlichen Waldboden führte bislang zur Kompression des Bodens. Wege zur Vermeidung dieser folgenreichen Verdichtung müssten hier angestrebt werden. Auf diese Art würde die Waldwirtschaft der Zukunft zwar kleinere Erträge einfahren, aber auf längere Sicht wäre eine kontinuierliche Ernte garantiert.
Solche Konzepte werden mancherorts bereits jetzt verwirklicht. Das Holz hat nachweislich eine höhere Qualität und kann teurer verkauft werden, was die niedrigen Erträge kompensiert.

Abhilfe für die Debatte um effiziente Holzwirtschaft oder wirksamen Naturschutz, die leider in den meisten Fällen als Widerspruch gilt, würde bereits eine Änderung in der Auffassung hin zu einem bewussteren Umgang mit natürlichen Ressourcen schaffen. Denn nicht nur die Holzindustrie, deren Wirtschaften meist hohen wirtschaftlichen Zielvorgaben unterliegt, ist Teil des Problems, sondern jeder einzelne. Der Verbrauch von Holz in Deutschland ist enorm. Trotz intensiver Holzwirtschaft muss fünfzig Prozent des Holzes sogar noch importiert werden, um die Nachfrage zu decken. Die Verwendung geht dabei weit über den naheliegenden Einsatz von Holz als Brennstoff hinaus. Holz ist in der Papierindustrie unersetzlich und nicht nur die Bürokratie frisst Berge von Papier, auch in Verpackung wird Papier und Kartonage großzügig verwendet. Die nachhaltige Entwicklung des Walds und unser eigenes Konsumverhalten greifen also direkt ineinander.
Allgemeinhin muss verstanden werden – von der Industrie und von jedem einzelnen, welch großen Wert der Wald als Ökosystem und Erholungsort hat und dass nicht der Holzertrag zwingend im Mittelpunkt stehen soll. Es sollten größere Flächen als Naturreservate ausgewiesen werden. Orte, wo Wunden im Wald schonend heilen können. Ein ökologischer Umbau des Waldes dient ja schließlich auch dem Gemeinwohl, das die ausgewiesenen Naturwälder zunehmend als Erholungsort versteht.

Die Vereinbarkeit von naturnahen Wäldern mit steigender Nachfrage nach dem Rohstoff Holz, der nicht zuletzt in der Industrie unersetzlich geworden ist, bleibt weiterhin zur Diskussion. Es wird auch in Zukunft clevere Köpfe, Zukunftsmut und einiges an Durchsetzungsvermögen brauchen, um Strukturen, die über Jahrzehnte gewachsen sind, aufzuweichen, die Ressourcenverschwendung zu minimieren und zu einem ökologischeren Ansatz hinzuwenden. Fest steht, dass der Wald unsere Hilfe und Zuwendung braucht, um die Krisen unserer Gegenwart erfolgreich zu überstehen.

 

 

Quellen:

https://www.schwaebischerwald.com/startseite (Zugriff 15.10.2023)

https://www.wald.de/waldwissen/wie-viel-kohlendioxid-co2-speichert-der-wald-bzw-ein-baum/ (Zugriff 15.10.2023)

https://www.helmholtz.de/newsroom/artikel/nur-noch-jeder-fuenfte-baum-ist-wirklich-gesund/ (Zugriff 15.10.2023)

 


 

Eine Story von Helen

Helen schreibt ehrenamtlich für die WWF Jugend Community. Sie ist im Redaktions- und Aktionsteam. Auch du kannst hier mitmachen - melde dich gerne bei uns.