
Was bedeutet Krieg für die Natur?
Seit über 14 Monaten herrscht Krieg in der Ukraine. Der WWF ist entsetzt über diesen Angriffskrieg. Für die Menschen der Ukraine bedeutet das Flucht, Vertreibung, Luftangriffe, zerstörte Infrastruktur und unsichere Versorgung mit Lebensmitteln und medizinischer Versorgung und vieles mehr. Ihr Leben und ihre Heimat sind bedroht.
Doch auch die Natur leidet unter dem Krieg. Wie sich Kriege auf Ökosysteme und die Natur auswirken, das schauen wir uns in dieser Story an.

Die Natur in der Ukraine
Die Ukraine wird auch als Teil des „grünen Herzens Europas“ bezeichnet, da dort noch relativ viel unberührte Naturgebiete und Wildarten erhalten sind. In der Ukraine finden sich Steppenökosysteme, Küstenfeuchtgebiete, Almwiesen ebenso wie uralte Buchenwälder und ausgedehnte Moore. Auch der größte Schilfgürtel der Welt und das zweitgrößte Flussdelta Europas liegen in der Ukraine.
Über die Hälfte der großen Raubtiere Europas leben in der Ukraine, wie Braunbären, Wölfe, Wisente, Luchse und Störe. Zwei der wertvollsten Wildzentren der Erde liegen in der Ukraine: Die Ökoregion Donau und die Karpaten. In den Karpaten liegen z.B. große Wälder und Urwälder, auch alte Buchenwälder, die zum Weltkulturerbe gehören.
Über 35% der europäischen Biodiversität ist in der Ukraine beheimatet. Dazu zählen über 70.000 Pflanzen- und Tierarten, viele davon sind selten und/oder endemisch, d.h. sie kommen nur in einer bestimmten Region vor.

Was bedeutet Krieg für die Natur?
Für die Natur bringt ein Krieg lang anhaltende Herausforderungen mit sich. Die gesamten Schäden des Krieges in der Ukraine können noch nicht bewertet werden, doch gibt es Hinweise auf Art und Umfang der Schäden für die Natur.
Zu den Umweltfolgen zählen z.B. direkte Auswirkungen auf Lebensräume und Arten, aber auch indirekte Folgen durch Luft-, Wasser- und Bodenverschmutzungen.
Direkte Folgen durch Militärmanöver und Beschuss sind z.B.
- schwere Militärfahrzeuge und Sprengstoff bedrohen die Natur inner- und außerhalb von Schutzgebieten, Boden wird aufgewühlt, Ökosysteme zerstört
- Angriffe können Brände auslösen. Dadurch können große Flächen zerstört werden.
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Laut Satellitendaten sind bereits über 100.000 Hektar Ökosysteme beschädigt. Das sind über 900 Schutzgebiete (30% der Schutzgebiete der Ukraine). Sie sind von Beschuss, Bombenangriffen, Ölverschmutzungen und Militärmanövern betroffen. Ziehen sich Truppen aus Gebieten zurück, sind diese vielfach zerstört.
Einige Bereiche sind von vollständiger Zerstörung bedroht – z.B. Steppen oder dichte Wälder am Fluss Siverskyi Donets, wo normalerweise geschützte Greifvögel Nistplätze, Nahrung und Schutz finden. - Mindestens 14 Feuchtgebiete, die international anerkannt sind, sind von Zerstörung bedroht. Das sind z.B. flache Meereslagunen, Buchten und Inseln im Schwarzen Meer, das Dnipro-Delta oder Moore, Mäander und Auen in der Region Sumy.
- Jahreszeit: Im Frühling ziehen viele Tiere auf der Suche nach Nahrung und Paarung umher und ziehen Jungtiere auf. Hunderttausende Wasservögel sind entlang der Küste unterwegs, über 30.00 Weißstörche und auch 1.000 der seltenen Schwarzstörche sind auf der Suche nach Nistplätzen. Bären beenden den Winterschlaf, Huftiere bringen ihre Jungen zur Welt. Militärische Konflikte in dieser Zeit bedrohen diese Prozesse in besonderem Maße.
- Im Osten der Ukraine gibt es viel Schwerindustrie mit Industrieanlagen, Chemiefabriken, Kohlebergwerken und Einrichtungen, die Giftmüll lagern oder produzieren. Werden diese Orte angegriffen, werden Luft, Boden und Wasser verunreinigt. Das ist eine große Bedrohung für die dort lebenden Menschen und auch für die Natur eine langfristige Gefahr. Böden und Süßwasser sind dabei besonders gefährdet.
- Aus zerstörten Kohleminen können giftige Abfälle in das Grundwasser gelangen. In der Ostukraine ist das bereits geschehen. Dabei werden die Böden unbrauchbar für die Landwirtschaft und das Grundwasser kann nicht mehr genutzt werden.
- Durch den Beschuss von Gasleitungen oder Öldepots können Öl und Gas in Flüsse, Seen, Feuchtgebiete oder ins Grundwasser gelangen.
- Landminen und Munition töten Menschen – und ebensoTiere wie Elche oder Hirsche. Außerdem verseuchen Minen und Munition das Grundwasser mit Metallen und Giftstoffen.
- Beschädigte Kläranlagen lassen unbehandeltes Abwasser in die Umwelt. Das verschmutzt die Wasserressourcen.
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Bei Angriffen auf Öl- und Gasdepots oder Industrieanlagen können giftige Dämpfe freigesetzt werden – z.B. Säure oder Ammoniak.

Indirekte Folgen des Krieges auf die Natur und Naturschutz:
- Die Arbeit in Naturschutzgebieten ist beeinträchtigt, auch wenn die Gebiete nicht direkt militärisch betroffen sind: Ranger und Mitarbeiter:innen von Naturschutzgebieten mussten zum Militär, Familien sind geflohen oder werden durch Raketenbeschuss und Luftalarm daran gehindert, ihrer Arbeit nachzugehen. Die Folgen sind zunehmende Wilderei, Fischerei (Störe) oder illegaler Holzeinschlag. Die beeinträchtige Energie- und Wärmeversorgung erhöht die Gefahr noch zusätzlich.
- Der Krieg verhindert zusätzlich, dass sich bereits gestresste Natur erholen kann. Viele Projekte zum Artenschutz, zur Wiederherstellung von Lebensräumen, zur Verbesserung von Schutzgebieten oder im Kampf gegen den Klimawandel sowie zur Klimaanpassung mussten unterbrochen werden. So kann z.B. eine geplante Umsiedlung von Bisons aus Polen in das Biosphärenreservat Tschernobyl bis auf weiteres nicht stattfinden. Auch die geplante Maßnahme, 2022 über 10.000 Hektar Urwald in der Ukraine unter Schutz zu stellen, konnte nicht wie geplant umgesetzt werden.
Die Folgen der kriegerischen Handlungen auf die Menschen und die Natur sind also eng miteinander verbunden und lassen sich kaum trennen, wie die Beispiele gezeigt haben.

Wiederaufbau
Es ist unklar, wie lange der Krieg dauern wird und wie die Situation danach sein wird: Doch die Planungen für den Wiederaufbau haben bereits begonnen. Die ukrainische Regierung und andere wichtige Akteure haben sich dabei zur Nachhaltigkeit verpflichtet. Trotz schwieriger Umstände kann das gelingen: So kann die Modernisierung der ukrainischen Wirtschaft und Infrastruktur so erfolgen, dass sie mit der Natur und nicht gegen sie arbeitet. Dazu zählt auch eine bessere Sicherheit bei der Energieversorgung mit einer geringeren Abhängigkeit von importierten fossilen Brennstoffen. In allen Sektoren (Wohnen, Energie, Industrie, Landwirtschaft, Verkehr, Digitales usw.), gibt es Möglichkeiten, Ressourcen und fossile Brennstoffe zu reduzieren und naturbasierte Lösungen zu nutzen. Der Wiederaufbau ist eine Investition in die Zukunft, er darf also keine Fehler der Vergangenheit wiederholen.
Der Wiederaufbau kann die Ukraine auch dabei unterstützen, ihre Ziele im Kampf gegen den Klimawandel wieder aufzunehmen und zu erreichen: Eine Verringerung der Treibhausgasemissionen bis 2030 um 65% gegenüber 1990 und Netto-Null bis 2060.

WWF Ukraine
Der WWF ist seit gut 20 Jahren in der Ukraine aktiv. Der WWF Ukraine wurde 2020 offiziell gegründet. Aktuell gibt es z.B. Büros in Kiew, Lviv und Odessa. Die Schwerpunkte des WWF Ukraine liegen im Bereich Wälder, Frischwasser, Artenvielfalt, nachhaltiger Konsum, Bildung und Mobilisation von Jugendlichen sowie Klima und Energie. Er ist aktiv bei der jährlichen Earth Hour, beim internationalen Tag des Luchses, beim Schutz der Karpaten und des Danube-Flusses oder der Zusammenarbeit im Bereich Zentral- und Osteuropa. Naturschutzprojekte finden hauptsächlich in den Regionen Karpaten, Donaudelta und Polissya statt. So werden z.B. Fotofallen aufgestellt und Aktionspläne für den Schutz von Bären und Luchsen erarbeitet, Inseln in der Donau renaturiert, Dämme entfernt oder Korridore für Wildtiere eingerichtet.
Der WWF Ukraine arbeitet auch mit Unternehmen zusammen, die ihren ökologischen Fußabdruck verringern wollen.

Fazit
Der Krieg bringt viel Leid für die Menschen und Zerstörung für die Natur. Der Wiederaufbau der Städte, Schulen, Krankenhäuser, die Versorgung der Menschen werden viel Zeit und Ressourcen brauchen. Parallel muss auch die Natur wieder aufgebaut werden und ihr die Chance gegeben werden, sich von den Auswirkungen des Krieges zu erholen. Die genauen Schäden müssen nach dem Krieg genau bewertet und Prioritäten gesetzt werden. Die Verschmutzung von Wasser, Böden und Luft wird auch lange nach dem Krieg anhalten. Es kann Jahrzehnte dauern, bis sich die Natur regeneriert hat.
Um eine Zukunft aufbauen zu können, in der Mensch und Natur in Einklang leben, brauchen wir aber zunächst einmal Frieden.
Quellenangaben
- WWF Deutschland: „Krieg in der Ukraine“ vom 4.4.2022, unter https://www.wwf.de/ueberuns/krieg-in-der-ukraine (Zugriff am 1.5.2023)
- WWF Ukraine, unter https://wwf.panda.org/wwf_offices/ukraine/ (Zugriff am 1.5.2023)
- WWF EU: „Ukraine needs a sustainable, climate and naturepositive reconstruction: New WWF/BCG report“ vom 22.9.2022, unter https://www.wwf.eu/?7631816/Ukraineneeds-a-sustainable-climate-and-nature-positive-reconstruction-New-WWFBCG-report (Zugriff am 1.5.2023)
- WWF CEE: „Ukraine needs a sustainable, climate and nature positive reconstruction to ensure long-term security“ vom 22.9.2023, unter https://wwfcee.org/ouroffices/ukraine (Zugriff am 1.5.2023)
- WWF CEE: „Assessing the environmental impacts of the war in Ukraine“, unter https://wwfcee.org/ouroffices/ukraine/assessing-the-environmental-impacts-of-the-war-in-ukraine (Zugriff am 1.5.2023)
- Andrea Beer, Tagesschau: „Umweltzerstörung in Donezk: Wo Krieg herrscht, verlieren wir die Natur" vom 23.3.2023, unter https://www.tagesschau.de/ausland/europa/ukrainekrieg-umweltzerstoerung-101.html (Zugriff am 1.5.2023)

Eine Story von: Stephanie
Stephanie schreibt ehrenamtlich für die WWF Jugend Community. Sie ist im Redaktions- und Aktionsteam. Auch du kannst hier mitmachen - melde dich gerne bei uns.