„Der Schwarm“ – Ein Desaster für den Artenschutz?

Published on March 8, 2023

Im Februar dieses Jahres 2023 war es endlich soweit! Lange hatte man darauf gewartet, jetzt feiert die Miniserie „Der Schwarm“, die auf Grundlage des von Frank Schätzing geschriebenen, gleichnamigen Romans entstand, im ZDF-Fernsehen ihre Premiere. Vom „Öko-Thriller“, wie sie im Abendfernsehen anmoderiert wurde, erhoffte sich zumindest der eine oder die andere eine einigermaßen tiefsinnige, dem Zeitgeist angepasste Story, die auch Menschen ohne Achtsamkeit für die Natur unterhaltsam, aber kritisch an die Bedeutung des Ozeans heranführt. Denn es sollte dargestellt werden, dass sich die Natur gegen den Menschen zur Wehr setzt, also die Zerstörung durch den Menschen nicht länger erduldet, sondern zurückschlägt.

Statt aber mal ein Walfangboot zu versenken oder einem Kreuzfahrtschiff Angst einzujagen, vergreifen sich die Tiere des Meeres an Meeresbiologen und Umweltschützern, die eigentlich für die gute Sache – nämlich ihren Erhalt – kämpfen. So wirft sich ein lebensecht-dargestellter Buckelwal auf das Boot von ahnungslosen Whale-watching-Touristen und zerstört es vollständig. Und wäre das nicht genug, müssen die in Seenot geratenen Passagiere einen geradezu schaurigen wie aussichtslosen Kampf gegen ein animiertes Orcarudel führen, die die Menschen wie Fliegen von der Wasseroberfläche pflücken und in den Tiefen des Meeres zerfleischen.

Natürlich können die Allermeisten Fernsehfiktion von Realität unterscheiden. Dennoch fühlt sich der ein oder andere vielleicht unmittelbar in die Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts zurückversetzt, als der Kinospielfilm „Der weiße Hai“ erschien. Die menschenfressende Bestie schockierte die Menschen und die mit damaligen Methoden realistisch inszenierten Bilder steckten auch beim nächsten Badeurlaub noch in den Knochen. In der renommierten Wissenschaftszeitschrift Nature erschien eine diesbezüglich höchst alarmierende Studie: Seit den Siebzigern seien Untersuchungen zufolge 71Prozent der weltweiten Hai-Bestände durch Überfischung zurückgegangen. Die Forscher sehen Filme, wie den Kinohit „Der Weißer Hai“ wesentlich in der Verantwortung, die Angst der Menschen noch geschürt zu haben. Laut den Wissenschaftlern befürworteten die Menschen sogar das Töten der Raubfische (https://www.spiegel.de/kultur/kino/der-weisse-hai-regisseur-steven-spielberg-bedauert-die-auswirkungen-seines-kinoerfolgs-a-d8b0cd4b-54c6-439c-9e90-1f223ca78672). Wie meinungsbildend ein solcher Film als Massenmedium sein kann, sehen wir an diesem Beispiel eindrucksvoll.

Und genau das könnte für einen nicht unwesentlichen Teil der Zuschauerschaft von „Der Schwarm“ – insbesondere dieser, der mit Natur und Tieren ansonsten wenig am Hut hat –der springende Punkt sein. Jahrzehntelange Bemühungen von Umweltverbänden und nicht zuletzt vom WWF, die eine Annäherung von Mensch und Ozeanriesen schafften und Aufklärung über deren Verhalten, Lebenswiese und Lebensraumzerstörung versuchten, Aktionen, die den Menschen an die sanften Riesen der Tiefe heranführen wollen und aufzeigen wie schützenswert und verletzlich genau diese Arten sind, scheinen auf einmal wie weggewischt. Faszination wandelt sich in Abstoßung, schlimmstenfalls in Furcht. Dass gerade Wale in „Der Schwarm“ als Killer stilisiert werden, ist fatale Ironie. Jahrhundertelang waren es Menschen, die umfangreich Walfang betrieben und so die Bestände dramatisch dezimierten. Was mit einer Tradition nördlicher Kulturkreise begann, wurde schnell kommerzialisiert. Aus dem Fettgewebe der getöteten Wale gewann man in großem Stil Tran, der als Brennstoff oder als Zusatz in Lebensmitteln genutzt wurde und der damit die wirtschaftliche Hauptantriebskraft des Walfangs darstellte (https://de.wikipedia.org/wiki/Tran). Massenabschlachtungen waren die verheerende Folge. Man machte sich mit großen Flotten und scharfen Harpunen auf den Weg. Gejagt wurde auf offener See oder in engen Lagunen. Das Meer wurde regelrecht zum Blutbad.
Über die Zeit wurden die Jagdtechniken immer weiterentwickelt und optimiert. Die einfachen Harpunen tauschte man gegen solche aus, die mit Sprengladung versehen waren und die, wenn getroffen, in der Haut des lebendigen Tieres explodierten und so schneller zum Tod führten und die Effizienz steigerten. Dass über die Zeit hinweg keine nennenswerten Berichte von Walen kursierten, die sich wehrten, Schiffe zum Kentern brachten und Harpuniere fraßen, verdeutlicht nur einmal mehr, wie sanftmütig Wale im Allgemeinen sind.

Auf diesem Bild sind geschlachtete Weißseitendelfine zu sehen. Auf den Färöern, wo dieses Bild entstand, werden jährlich noch 1000 Tiere vom Menschen getötet. Das massenhafte Töten von Meeressäugern ist also noch bis heute traurige Realität.

Statt Wale und andere Meeresbewohner also durch eine Horror-Sendung unbeliebt zu machen, würden sie das Gegenteil bedürfen: Stengen Schutz! Zahlreiche Prognosen deuten darauf hin, dass sich die Population einiger Walarten auch bis zum Ende des Jahrhunderts noch nicht vollständig von diesem systematischen Abschlachten erholt haben werden. Während ihnen noch immer illegaler bzw. der von unter anderem Japan betriebener offizieller und zu Forschungszwecken angeblich unerlässlicher Walfang zusetzt, sehen sie sich noch vielen weiteren Bedrohungen ausgesetzt. Das Verfangen in Fischernetzen und der Klimawandel sind hier nur die Spitze des Eisberges (https://de.whales.org/wdc-ziele/meere-schuetzen/bedrohungen/).

Ein bisschen mehr Realität gefällig? Nicht nur das Verhalten der Tiere, sondern auch das der Menschen scheint in dieser Serie seltsam verklärt. Wir alle könnten hundert Beispiele nennen, in denen der Mensch im Umgang mit dem Ökosystem Meer Fehlverhalten an den Tag legt. Schleppnetzfischerflotten, die ohne Rücksicht auf Beifang ganze Meereszonen leerfischen, und kolossale Kreuzfahrtdampfer, die nicht nur Schadstoffe ausstoßen, sondern auch zur akustischen Umweltverschmutzung beitragen – ein Desaster nicht nur für die Wale. Und nicht zuletzt lassen Plastik-Teppiche an der Meeresoberfläche ganze Gebiete ersticken. Schätzungen zufolge hat das Ausmaß der Verschmutzung an einer bestimmten Stelle im Pazifik sogar die Größe von Mitteleuropa erreicht (https://www.fachzeitungen.de/fachbeitraege/plastikmuell-teppich-im-pazifik-so-gross-wie-mitteleuropa-1030522/). All das scheint in dieser Serie nur untergeordnete Rolle zu spielen. Stattdessen wird gleich zu Beginn der Handlung ein armer Fischer, der sicherlich nicht die eigentliche Schuld an der Zerstörung der Meere trägt, vom Zorn des Ozeans heimgesucht. Mit seinem aus einfachen Schilfrohrbündeln geknüpften Boot sucht er regelmäßig seine Fischgründe auf, um mit einem kleinen, einfachen Netz sein Überleben zu sichern. Um sein Netz, das sich auf dem Meeresgrund verhakt hatte, mit bloßen Händen zu befreien, taucht er in die Tiefe hinab und wird dort vom selben Fischschwarm bedrohlich bedrängt (und wahrscheinlich auch erstickt), den er selbst hätte fischen wollen. Eine ahnungsvolle Umkehrung der Rollen, der sich durch die gesamte erste Episode zieht. Der Rollentausch geschieht nicht nur auf Jäger-Gejagter-Ebene, sondern auch mit Blick auf die „Machtverhältnisse“. Verkörpert durch den wehrlosen Fischer, wird der Mensch in die Opferrolle drängt und das Drama ist perfekt.

Wenn sich die Tendenz der ersten Folgen erhalten und die Natur weiterhin zum Schuldigen gemacht wird, spielt die Serie ein überaus gefährliches Spiel, das insbesondere dem Wal- und Orcabestand nachhaltig schaden könnte. Beispiele aus der Vergangenheit und nicht zuletzt der Spielfilm „Der Weiße Hai“ zeigen anschaulich, wie leicht Menschen manipulierbar in ihrer Meinungsbildung sind und wie erschreckend groß die Reichweite eines ansprechend gestalteten Massenmediums sein kann: Wahrheiten werden verzerrt und auf den Kopf gestellt. Dennoch liegt es an uns, ob wir uns davon leiten lassen. Wir als Umweltschützer*Innen dürfen deshalb nicht den Mut verlieren, weiterhin hartnäckig über die wahren Lebensumstände von Meereslebewesen aufzuklären, die durch den Menschen in Not geraten sind.
Denn die beste Waffe gegen Unverständnis und Vorurteil ist Aufklärung und Bildung!

 

 

 

Eine Story von Helen

Helen schreibt ehrenamtlich für die WWF Jugend Community. Sie ist im Redaktionsteam. Auch du kannst hier mitmachen - melde dich gerne bei uns.