Türchen 17

Published on December 17, 2022

Aufmerksamkeit ist überlebenswichtig. So ist z.B. die erste Tat von Neugeborenen durch intensives Schreien Aufmerksamkeit auf ihr Vorhandensein und ihre Zuwendungsbedürftigkeit zu lenken. Gleichzeitig ist unsere Aufmerksamkeit auch ein knappes Gut. Mit der zunehmenden Digitalisierung und Vernetzung sinken die Kosten für Information und Unterhaltung immer weiter. Begrenzend ist nicht mehr der Zugang, sondern die Aufmerksamkeit. Obwohl es sich widersprechende wissenschaftliche Erkenntnisse gibt, gilt in Redaktionen und bei Werbetreibenden: Der Mensch hat die Aufmerksamkeitsspanne eines Goldfisches, nämlich 9 Sekunden. Vor 2000 Jahren war sie noch deutlich länger. Warum? Wir werden täglich mit Tausenden Werbebotschaften überflutet und sind über unser Smartphone ständig erreichbar. Bei dieser Reizüberflutung ist es nachvollziehbar, warum wir so schnell abgelenkt sind. In dieser Berichtereihe beschäftigen wir uns mit Achtsamkeit, also einer besonderen Form der Wahrnehmung und Aufmerksamkeitslenkung. Warum das gerade jetzt ein wichtiges Thema ist, soll dieser Artikel kurz anreißen.

Und deshalb, bitte ich kurz um Aufmerksamkeit.

Wir leben in der Aufmerksamkeitsökonomie. Diese ökonomische Theorie geht auf den österreichischen Sozialforscher und Ökonom Georg Franck und sein 1998 veröffentlichtes Buch „Ökonomie der Aufmerksamkeit“. Der erste Satz lautet: „Die Aufmerksamkeit anderer Menschen ist die unwiderstehlichste aller Drogen.“ Franck zeichnet nach, wie Institutionen, Prominente, Politiker und CEOs immer mehr aktiv nach Präsenz in der Öffentlichkeit streben. Aufmerksamkeit wurde zur Währung. Weil Aufmerksamkeit knapp ist und sich in Geld oder Macht ummünzen lässt, wurde und wird immer mehr investiert, um sie zu generieren. 

Instagram, YouTube und andere Plattformbetreiber behandeln jeden Content erst einmal gleich – egal ob er Desinformationen und Hetze verbreitet oder nicht. Es geht im Grunde nur darum, dass er Clicks erzielt und daher für Werbung taugt. In der Werbebranche und im Internet wird die Aufmerksamkeit der Leute am stärksten durch Inhalte gefesselt, die an die Emotionen appellieren und nicht an den Verstand. Irreführende oder schlecht recherchierte News können die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, indem sie Empörung oder Wut hervorrufen. 

Die Bereitschaft der Mediennutzer, für Journalismus zu zahlen, sank in den letzten Jahren rasant. Medien sind finanziell folglich von Werbeeinnahmen abhängig und folgen der Logik, die nach Aufmerksamkeit strebt. Der entscheidende Punkt für den Erfolg ist nicht mehr die Qualität der Recherche, sondern die Aufmerksamkeit bzw. Klicks, die durch die gezielte Provokation von Emotionen in der Bewerbung des Beitrags gewonnen wird. Diesen Effekt sieht man insbesondere in der Verbreitung von Nachrichten in Sozialen Netzwerken. 

Wie wir unsere Aufmerksamkeit lenken können

Slow Journalism bzw. Entschleunigter Journalismus ist ein Gegenkonzept zu dem weltweiten Medien- Trend, bei dem zugunsten von Geschwindigkeit und Aktualität auf Einordnung, ausgiebige Recherche und Konstruktivität verzichtet wird. Ein Aspekt des Konzeptes ist es, Themen auch und gerade am Ende eines „Aufmerksamkeitszyklus“ wieder aufzugreifen. Entschleunigte Medienformate sind oft mitgliederfinanziert und dadurch werbefrei. Das Magazin enorm gehört dazu.

Um bestimmten Arten von Informationen und Akteuren im Internet zu widerstehen, muss man sich neue mentale Gewohnheiten aneignen, die uns helfen, uns nicht von nach Aufmerksamkeit gierenden und potenziell schädlichen Inhalten verführen zu lassen. Eine Strategie ist das „kritische Ignorieren“, was dieser Studie zufolge im digitalen Zeitalter eine Kernkompetenz sein müsste. Denn sie wirkt wie ein Schutzschild gegen die Lügen von BILD, AfD und Trump . Wir müssen (am besten schon in der Schule) lernen, welche Themen und Menschen wir ignorieren können, um uns auf die wichtigen Dinge zu konzentrieren. Denn wer gewissen Lügen die eigene Aufmerksamkeit verweigert, schafft in der algorithmusgetriebenen Öffentlichkeit des digitalen Zeitalters mehr Platz für Wahrheit und wichtige Debatten.

Das gute ist ja: Wir sind zivilisiert und können unsere Aufmerksamkeit lenken. Lucy Hone stellt in ihremsehr sehenswerten TED-Talk „The three secrets of resilient people“ die inzwischen berühmte Metapher des Säbelzahntigers vor. Als wir vor nicht allzu langer Zeit aus der Höhle traten und plötzlich einem Säbelzahntiger gegenüberstanden, war es für uns lebensnotwendig, den schönen Regenbogen, der am Himmel zu sehen ist, zu ignorieren und uns dem Problem des Säbenzahltigers zu widmen. Wir sind konditioniert, uns auf das Schlechte, auf die Gefahren zu richten. Aber eigentlich stehen uns Säbelzahntiger nur selten gegenüber; meistens liegt es an uns, unsere Aufmerksamkeit auf die Regenbogen zu lenken.

Ich habe drei Vorsätze für mich persönlich zusammengetragen, wie ich die Kontrolle über meine Aufmerksamkeit behalten will:
1. Das Scrollen durch Instagram, TikTok und Twitter gibt mir Dopamin-Kicks (weil ich lustige Tweets lese, süße Katzenvideos like und die Refrains der besten Pop-Songs höre), für die ich aber nichts geleistet habe. Dadurch killt Social Media meine Produktivität und Motivation. Meine Regel für Insta lautet: Aufhören, wenn`s am schönsten ist, damit meine Dopamin-Speicher nicht überquellen und wieder leer sind, wenn ich mich wieder an die Arbeit setze.
2. Die, die sich gegen das Aufmerksamkeits-Rennen stellen, brauchen Unterstützung. Ich kann mich deshalb nicht in Bezug auf News auf Twitter verlassen. Es ist altmodisch und daher etwas kitschig lohnt sich vielleicht doch, ab und zu mal eine Zeitung zu kaufen und zu lesen.
3. Als Inspiration soll mir dieses Zitat des chinesisches Schriftstellers Li Yutang aus dem letzten Jahrhundert dienen: „Neben der edlen Kunst, Dinge zu verrichten, gibt es die edle Kunst, Dinge unverrichtet zu lassen. Die Weisheit des Lebens besteht im Ausschalten des Unwesentlichen.“


Quellen
enorm-Magazin
Wikipedia
BpB
Deutschlandfunk
Marcomy


 


Die Autorin Lena

Eine Story von: Lena

Lena schreibt ehrenamtlich für die WWF Jugend Community. Sie ist im Redaktions- und Aktionsteam. Auch du kannst hier mitmachen - melde dich gerne bei uns.

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